Wir haben gar kein Auto...
schön ist es allerdings, wenn sie aus Versehen in den sogenannten städtischen oder zivilisierten Gebieten enden. Wie dieser Hirsch, der, eines Nachts, vom Gewitter aufgeschreckt, frei durch die StraÃen von Bozen lief und von einem Wildhüter mitten in der historischen Altstadt durch einen Gewehrschuss niedergestreckt wurde.
Gab es wirklich keine andere Lösung, als ihn zu erschieÃen? Ich verstehe ja, dass das Geweih eines erwachsenen Hirschen in einer Ortschaft gefährlich sein kann, aber ihn anders auÃer Gefecht zu setzen â¦Â Nein? Den Unglückseligen sedieren und in seine Welt zurückbringen â¦Â Neeiiin? Tja, jemand hat wohl gedacht, er wäre sehr viel besser in einem Kochtopf aufgehoben, als frei in den Wäldern herumzulaufen! Armer Hirsch!
Jedenfalls bin ich ein Nervenbündel nach dieser schlaflosen Nacht und brenne darauf loszuradeln. Langsam erhole ich mich auch von der schlechten Verdauung und bin gewappnet für die Abenteuer des neuen Tages. Mein »Bambi« ist gerade aufgewacht und noch immer ein bisschen wütend auf mich. Wir müssen das Zimmer bis zehn Uhr verlassen haben, das ist ja schlimmer als im Kempinski. Die Inhaberin der Pension ist wirklich unsympathisch, aber wenigstens macht ihr Mann (der Taxifahrer) einen fröhlichen Eindruck.
Als wir losfahren, bläst ein starker Wind, und es fängt an zu nieseln. Ich bin erkältet und glaube nicht, dass ich heutesehr lange durchhalte. Doch ein Sonnenstrahl und der Anblick des Reschensees reichen aus, um meine Meinung zu ändern. Eine magische Atmosphäre umgibt mich, wie ich sie noch nie erlebt habe. Die Spitze des alten Kirchturms von Curon Venosta (Graun im Vinschgau), die wir aus dem Wasser ragen sehen, ist das schönste Bild unserer ganzen Reise. Ich glaube meinen Augen nicht.
»Bin ich wirklich wach, oder ist das hier etwa ein lebendiger Spuk oder gar ein Loch Ness aus Stein?«, frage ich Jutta.
»Nein«, sagt sie lächelnd.
Dieser einsame Obelisk des metaphysisch-surrealen Symbolismus ist die Erinnerung an ein Dorf, das wegen eines riesigen, 1950 errichteten Staudamms, der die Seen von Resia (Reschen), Curon und San Valentino vereinigen sollte, in den Fluten versank. Durch das Stauen des Wassers wurden mehr als fünfhundert Hektar bebautes Land und mehr als hundertfünfzig Häuser vollständig überflutet.
Der Turm ist das einzige Zeichen des alten Dorfes, das neue entstand in unmittelbarer Nähe. Ich denke an all die armen Menschen, die ihr Zuhause verlassen mussten, und daran, wie schwer es für sie wohl war, ihre untergegangenen Häuser zu vergessen. Angeblich ist dies eine der am meisten fotografierten Ecken Italiens, doch in Wirklichkeit ist es nur eine weitere Tragödie, die der Mensch verursacht hat, auch wenn es im Namen des Fortschritts geschah.
Wir fahren weiter am ebenen Ufer des Sees entlang und erreichen bald San Valentino alla Muta, wo uns eine schöne Talfahrt erwartet. In Malles (Mals) vor Glorenza (Glurns) machen wir Rast und nehmen einen kleinen Imbiss mit einem ausgezeichneten Burgunder der Domaines Devillard zu uns.
Ich sage zum ersten Mal
»Buongiorno«
und segne zusammen mit Jutta diese Ecke meines Landes, das Val Venosta (Vinschgautal). Wir sind fasziniert von der ungewöhnlichenSchönheit dieser kleinen, alten Ortschaften, den Menschen hier, den hohen Bergen, den dichten Wäldern, den weiten Almen, den endlosen Apfelplantagen. Was für ein Anblick!
Bella Italia
im wahrsten Sinne des Wortes!
Der Kellner, der uns gerade die Rechnung gebracht hat, krümmt sich noch immer vor Lachen. Einer der alten Gäste am anderen Tisch erzählt einen Witz nach dem andern. Ich würde sie Jutta gern übersetzen, doch dieser Südtiroler Dialekt ist kaum zu verstehen. Obwohl das Val Venosta schon vor Jahrhunderten sprachlich germanisiert wurde, hat es keine eigene Sprache. Stattdessen herrschen verschiedene lokale Idiome vor, die von Tal zu Tal kleine Unterschiede im Wortschatz wie in der Intonation aufweisen. Selbst ich muss die Simultanübersetzung unseres Wirts in Anspruch nehmen, um den folgenden Witz aus dem Jenseits zu verstehen.
»Ein Mann verreist und logiert in einem Hotel mit PC samt Internetzugang im Zimmer. Er beschlieÃt, seiner Frau eine E-Mail zu schicken, doch aufgrund eines Tippfehlers sendet er sie aus Versehen an die falsche E-Mail-Adresse. Die E-Mail landet bei einer Witwe, die gerade von
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