Wir haben keine Angst
wirklich allem: Davor, dass wir einfach nie jemanden finden werden, mit dem wir uns eine Zukunft vorstellen könnten. Dass wir ihn, der irgendwo da draußen herumläuft, einfach nie treffen werden. Davor, dass wir ihn verpassen könnten, weil wir bei jemand Falschem bleiben. Generell davor, dass wir uns falsch entscheiden könnten, unsere Gefühle falsch investieren, so lange, bis wir uns selber verloren haben. Oder wir haben Angst davor, dass wir den Richtigen in den Wind schießen, nur weil wir fälschlicherweise dachten, dass es der Falsche sei. Und wir das dann später bitter bereuen könnten. Oder davor, dass es den Richtigen gar nicht geben könnte. Und wir, während wir vergeblich darauf warten, dass er uns endlich über den Weg läuft, nicht mitkriegen, dass alle anderen schon längst viel weiter sind als wir. Und nur wir aus der Besessenheit heraus, uns alle Optionen offenzuhalten, am Ende plötzlich ganz alleine dastehen. Wir fürchten uns davor, dass wir es wegen dieser Angst wiederum aber auch übertreiben und uns viel zu früh binden könnten. Bevor wir uns selber richtig gefunden oder ausgelebt haben. Und es deshalb wegen uns irgendwann nicht mehr klappen könnte.
Überhaupt machen wir uns riesige Sorgen darum, dass wir aus dem Druck heraus, alles richtig machen zu wollen, alles falsch machen werden. Weil wir unsere Beziehung mit Ansprüchen überladen, unter denen sie nur zerbrechen
kann
.
Unter dem Anspruch zum Beispiel, uns ernsthaft binden, aber dabei bloß kein langweiliges Paar werden zu wollen. Unter dem Anspruch, uns fest auf jemanden einzulassen, ohne dass dadurch unser Ich auch nur irgendwie eingeschränkt wird. Unter dem Anspruch, uns weiterhin entfalten und selbst verwirklichen zu wollen und niemanden dulden zu können, der uns dabei im Weg steht. Unter der Erwartung an uns selber, dem anderen bloß immer genug Raum zu geben, ihn auf keinen Fall ändern zu wollen, ihn um Himmels willen nicht zu umklammern und auf Teufel komm raus nicht allzu abhängig von ihm zu werden.
Wir haben Angst davor, dass uns unsere Beziehung irgendwann einmal nicht mehr genügen könnte. Oder dass wir ihr nicht mehr genügen könnten. Weil die Welt da draußen einfach zu viele bessere, spannendere, neuere, einfachere Angebote macht. Gegen die wir machtlos sind. Oder denen wir nicht widerstehen können. Weil unser Zuhause uns irgendwann vielleicht doch wie eine Beschränkung, wie ein goldener Käfig vorkommen könnte. Und dann nichts Leichtes mehr übrigbliebe, sondern nur noch die Routine.
Wir wollen uns gegenseitig nicht ersticken. Wir wollen dem anderen immer sein bester Freund sein. Sein engster Vertrauter. Aber auch sein heißester Liebhaber. Wir wollen bei ihm klein und groß sein können, stark und schwach, er soll uns von innen kennen und unser Äußeres bewundern. Er soll uns nah sein und uns fremd bleiben. Wir wollen uns bei ihm ausruhen können, aber er sollte uns auch immer wieder neu reizen.
Wir haben Angst davor, all das auf Dauer nicht bieten zu können. Oder es nicht zu bekommen. Wir haben Angst davor, dass wir einfach zu viel wollen.
*
»Vielleicht hätte ich ja doch bei Felix bleiben sollen«, murmelt Anna. Doch irgendwie konnte sie das nicht.
»Warum eigentlich nicht?«, fragt Herr G.
Anna schweigt. Sie seufzt. »Ich weiß nicht. Ich wollte irgendwie … ich brauchte irgendwie …
mehr
«, sagt sie. »Es hat nicht … gereicht, oder so.« Anna zuckt mit den Schultern. Sie kriegt keinen vernünftigen Satz zustande, wenn es um Felix geht.
Sie hat das selbst auch nie ganz begriffen. Irgendwie wollte sie irgendwann einfach etwas anderes als das sich vor ihr abzeichnende Leben mit ihm. Obwohl es eigentlich so schön war, was sich da entwickelt hatte. Felix machte alles richtig. Und ihre kleine Welt mit ihm war eigentlich der perfekte Ausgleich für ihre Stresswelt draußen in der Agentur. Es schien so, als könnte es einfach immer so weitergehen.
Und das wäre es sicher auch. Doch Anna wollte es nicht so. Sie wollte weiter hinaus. Felix war nicht genug. Sie zusammen als Paar waren ihr nicht genug. Anna brauchte ein halbes Jahr, um das zu entscheiden. Am Ende entschied es sich von selbst. Es fühlte sich so an, als sei ihre Liebe einfach ausgelaufen. Als wäre sie aus einem undichten Behälter getropft, durch ein unbemerktes Leck geflossen, langsam, aber stetig. Unaufhaltsam. Bis sie einfach weg war.
Das Leck muss irgendwann nach Felix’ Rückkehr aus dem VW -Urlaub entstanden sein. Anna
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