Wir haben keine Angst
eigentlich immer nur das Ausschlussprinzip«, sagte Marie bestimmt.
Anna überlegte. Felix mit einer anderen? Vielleicht würde jemand anderes besser für ihn sein, ja. Jemand, der sich einfach mehr für ihn interessierte. Für seine pädagogischen Theorien, für die Ansichten seiner kiffenden Freunde, für die Bandproben der Punkrocker. Vielleicht würde eine Frau, die Felix’ Mitbewohner in ihren dunkelbraunen Cordhosen und ihren schwarzen Kapuzenpullis nicht gammelig fand, eine, die sich nicht durch sechs Namen auf dem Klingelschild und fünf Paar ausgetretene schwarze Adidas Sambas vor der Zimmertür gestört fühlte, die nicht so viel zweifelte, die nicht ständig so gestresst und ungeduldig und gereizt war, besser zu ihm passen. Eine Frau, die nebenbei auch nicht nach der Bewunderung verheirateter Agenturchefs süchtig war und ihr Glück nur in ihrer Arbeit suchte. Jemand, der einfach besser in Felix’ VW -Bus passte.
»Bist du noch dran?«, fragte Marie am anderen Ende.
»Ich fühle gerade gar nichts«, seufzte Anna.
Felix hatte Anna mit großen Augen angeblickt. Er legte eine Hand an ihre Brust. »Was auch immer es ist, so schlimm kann es gar nicht sein. Denn ich spür dein Herz noch«, hatte er gelächelt. Anna sagte nichts. Anna fühlte nichts. Sie wusste nur, dass der Behälter jetzt ausgelaufen war. Sie wollte nur noch allein sein. »Ich glaub, ich brauch mehr Raum für mich«, sagte sie ernst.
Felix gab ihr den Raum. Er wollte sie zu nichts zwingen. Aber es war zu spät. Anna war abwesend. Unerreichbar. Und Felix machtlos.
Anna schien ihm wegzuschwimmen wie ein Stück Treibholz. Einfach so. Und ihm schien nichts anderes übrigzubleiben, als sie abdriften zu lassen. Denn sie wurde getrieben. Keiner konnte etwas dafür. Schuld war, vielleicht, die Strömung. Felix brachte Anna zur Tür. Erst nachdem sie schon lange weg war, zog er sie leise ins Schloss. Jetzt ist Anna wieder frei, dachte er.
*
Das vielleicht größte Problem bei unserem Angstmacher Nummer zwei, der Liebe, ist, dass wir uns langsam, aber sicher selber nicht mehr so ganz trauen.
Über die Jahre sind wir furchtbar verkopft geworden. Unser Kopf denkt manchmal so laut, dass wir gar nicht mehr hören können, was unser Bauch und unser Herz eigentlich sagen.
Umso schlimmer ist es, dass wir das, was Wir Sind Helden uns einst als Trost vorsangen, mit der Zeit vielleicht sogar etwas zu gut verstanden haben. Wir haben gesehen, wie sogar die größten Wunder an uns vorbeiziehen können. Wenn wir sie lassen. Denn wir haben begriffen, dass es eigentlich nur wir alleine sind, die bestimmen, ob wir es mit einem einmaligen Wunder oder mit etwas Vergänglichem zu tun haben, für das es sich eigentlich nicht lohnt, zu kämpfen.
Immer, wenn wir meinten, es lohne sich nicht, mussten wir die Stelle einfach nur gut abbinden. Wir mussten nur bis drei zählen und darauf warten, dass wir gar nichts mehr spüren. Und schon waren irgendwann nur noch Narben da. Narben da, wo einmal Wunder waren.
Ob wir wollen oder nicht: Damit ist unser Soundtrack mittlerweile sogar bei Tocotronic angekommen. Denn unser Teufel steckt im Zweifel. Wenn es etwas ist, das wir mittlerweile sicher wissen, dann, dass nichts sicher ist. Dass uns in Liebesdingen auf Dauer nichts, aber auch gar nichts gegen die kleinen Zweifelmonster, die auch all unsere anderen Lebensbereiche begleiten, schützen kann. Egal, wie glücklich, wie sicher, wie verliebt und wild entschlossen wir jetzt sind, und egal, wie sehr heute alle sagen, wir zwei passen perfekt zueinander – irgendwann kommen sie wieder. Wie sehr und in welche Richtung auch immer wir uns unsere Köpfe verdrehen lassen, und egal, wie rosa die Wölkchen sind, die uns anfangs dort den Blick vernebeln: Die Exit-Option bleibt immer in unserem Sichtfeld. Wir können sie jederzeit wählen, wenn uns die Zweifel zurück auf den Boden der Tatsachen gebracht haben und es uns dort zu kompliziert wird.
Wir wissen, dass wir zur Not alles wieder kündigen und canceln können. Dass nicht nur unsere Gefühle, Schwüre und Versprechen jederzeit wieder rückgängig gemacht werden können. Sondern auch all ihre Ausdrücke: geplante Urlaube, gemeinsame Wohnungen, gemeinsame Namen, gemeinsame Träume, ungewollt entstandene Schwangerschaften. Und auch die Ringe, die wir einander an die Hände stecken, so wissen wir, können selbstverständlich wieder abgenommen werden.
Um alles noch einmal auf Anfang zu setzen, um wieder frei zu sein, müssten
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