Wir haben keine Angst
einiger Zeit mitsamt unserer Insel eins zu eins kopiert und diese Kopie von uns online gestellt haben, kann man uns auf jeder Landkarte finden. Viele andere kleine Inselstaaten haben das auch getan. Auch sie sind sichtbar geworden. Mit ihnen haben wir uns in kürzester Zeit zusammengetan. Und ergeben nun alle zusammen ein riesiges, schwimmendes Land auf dem Ozean. So riesig, dass es nach den Einwohnerzahlen gerechnet schon jetzt das drittgrößte Land der Welt geworden ist.
Und obwohl Facebook natürlich irre praktisch ist und wir dort immer jemanden finden, der mit uns spricht oder der WG -Zimmer, Jobs oder Konzertkarten zu verscherbeln hat – dieses Land ist nicht unsere Heimat. Denn dort, irgendwo zwischen all den Gesichtern, im so schön tanzenden, glitzernden Sand unseres Netzwerkes tummeln sich leise und heimlich, gesichts- und namenlos unsere Angstmacher Nummer drei.
Unsichtbar sind sie dort ständig bei uns. Wie lautlose Schatten stehen sie hinter uns, wenn wir uns im realen oder virtuellen Kreis unserer netten Bekannten und spannenden Kollegen herumtummeln. Und flüstern uns nur ganz selten einmal etwas ins Ohr. Dann sagen sie etwas, das wir, wenn wir all diese Menschen um uns herum so sehen, kaum glauben können. Von dem wir aber wissen, dass es stimmt: Netzwerke können durchlässig sein.
Wir wissen, dass es wahr ist: Dass uns all diese mit uns verbundenen Menschen, die uns da umgeben, denen wir gerade etwas bedeuten und die uns heute wichtig sind, ebenso schnell vergessen könnten, wie sie uns kennengelernt haben. Dass wir für sie ebenso sympathisch wie austauschbar sind. Dass wir, wenn wir die Stadt wechseln müssten, keine gemeinsamen Bekannten oder coole Jobs mehr hätten, wir bei ihnen womöglich sofort wieder weg vom Fenster wären. Dass, wenn es einmal brenzlig würde und wir einmal ernsthaft Hilfe oder Beistand bräuchten, uns ziemlich wahrscheinlich keiner von diesen Leuten zur Seite stehen würde. Ziemlich wahrscheinlich würden sie uns sogar eiskalt den Rücken zuwenden. Genau so wie wir ihnen.
Denn ein Netzwerk ist schließlich keine Insel. Und wer so blöd ist, dass er das nicht auseinanderhalten kann, dem würde vermutlich auch kein neues Wort für seine echten Freunde weiterhelfen.
*
Seit Bastian Bille kennt, hatte sie noch nie einen Mann. Weder als Date noch in ihrem Bett, noch sonst wo. Zumindest hat sie nie von jemandem erzählt. Und wenn sie um die Häuser zieht, ist Bastian eigentlich sowieso immer dabei.
Dass Bille nicht über Männer redet, weiß nicht nur er. Sondern eigentlich gleich jeder, der sie neu kennenlernt. Irgendwie strahlt Bille sofort und unverkennbar aus, dass das Thema Beziehung für sie absolut tabu ist. Warum das so ist, weiß niemand. Es ist einfach so.
Bille ist dreiunddreißig. Sie hat ein schönes Gesicht. Nur wirkt sie auf die meisten insgesamt ein bisschen zu derb, ein bisschen zu burschikos. Was vor allem an der Mischung ihres Nasenpiercings, ihrer Körperhaltung in ihren ewigen schwarzen Kapuzenpullis und der Art, in der sie ein bisschen zu routiniert das Bier mit dem Feuerzeug aufmacht und sich eine Zigarette dreht, liegt. Bille wirkt, als habe sie einen Panzer um sich. Einen Schutzwall aus grober, kumpeliger Lässigkeit, den niemand durchdringen kann. Sogar Bastian nicht.
Im ersten halben Jahr hatte Bastian Bille auf Partys noch regelmäßig in die Seite geboxt, auf irgendwelche Typen gedeutet und mit dem Kopf genickt »Watt meinste? Der vielleicht?« Bille hatte ihn dann zurückgeboxt, kräftig, es tat richtig weh. Sie hatte gelacht. Und nie etwas gesagt außer »Nee, danke, lass ma’«.
Und nur ein paarmal, ganz am Anfang hatte Bille noch ab und zu einen Ex-Freund von zu Hause erwähnt. Einmal, besoffen, hatte sie Bastian davon erzählt, dass sie sich jetzt schon seit Wochen wieder ständig e-Mails mit ihm schreiben und sie das langsam ein bisschen irritieren würde. Das sei schon nicht mehr normal, hatte sie Bastian gesagt, ihre Ebene sei schon ganz schön tief, obwohl sie seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr gehabt hätten. Der Typ werde sie jetzt vielleicht bald mal besuchen kommen, hatte Bille Bastian gestanden und dabei eine verlegene Grimasse gezogen.
Doch der Typ kam nie. Und Bille erwähnte ihn nie wieder. Ihn nicht, und auch sonst niemand. Männer schienen sie ab dann einfach nicht mehr zu interessieren. Weshalb es also immer nur noch um Bastian ging. Um Bastian und seine unübersichtlichen Frauengeschichten.
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Obwohl oder gerade
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