Wir haben Sie irgendwie größer erwartet
ein bißchen verblüfft«, antwortete Gedächtnis. »Offensichtlich war er im einen Augenblick noch von Göttern umgeben und im nächsten plötzlich ganz allein. Wie ein Volltrottel ist er sich vorgekommen. Er glaubt mittlerweile von sich selbst, höchstwahrscheinlich gar kein echter Gott zu sein, sondern nur ein Feuergeist.«
»Richtet ihm aus, daß er seinen alten Job wiederhaben kann, wenn er will.«
»Ich sag’s ihm, aber ich glaube, er hat andere Pläne«, antwortete Gedanke. »Er hat davon gesprochen, ins Fischgeschäft einzusteigen, und irgendwas dabei vor sich hin gemurmelt, daß er sich gleich selbst in einen Fisch verwandeln könne, bevor das jemand anders für ihn erledige. Er ist und bleibt eben ein alter Pessimist – das war mir schon immer klar.«
»Hat eigentlich einer von euch Floßhilde gesehen?« erkundigte sich Malcolm.
»Floßhilde?« wiederholte Gedächtnis nachdenklich. »Kann ich nicht behaupten. Seit der Zeit nach dem großen Knall habe ich im Grunde gar keine der drei Rheintöchter mehr gesehen.«
Malcolm fühlte sich auf einmal sehr schlecht. »Aber die Rheintöchter sind doch keine hohen Götter, oder? Ich meine, die können bestimmt nicht …«
»Nähme ich nicht unbedingt an«, antwortete Gedächtnis. »Aber bei den dreien kann man nie wissen. Die sind eigentlich sehr rangniedrige Gottheiten, obwohl man das kaum glauben mag, wenn man sie sich so ansieht. Andererseits waren sie schon immer in ziemlich wichtige Geschichten verwickelt, wie zum Beispiel die mit dem Rheingold und dem Ring. Könnte also durchaus sein, daß die drei zusammen mit dem Rest verschwinden mußten.«
Entsetzt über diesen Gedanken, ließ sich Malcolm schwerfällig in den Sessel fallen. Zwar konnte er nicht recht verstehen, warum er so erschreckt war, aber die Vorstellung, Floßhilde nie mehr wiederzusehen, kam ihm plötzlich äußerst furchtbar vor. Nicht, daß er in sie verliebt wäre, aber ihm war jetzt klar, daß er sie ganz dringend brauchte.
»Sucht sie!« befahl er den Raben in barschem Ton. »Na los, Bewegung! Wenn ihr beiden nicht bei Tagesanbruch zurück seid, verwandle ich euch in Tontauben!«
Die Raben flogen hastig in die Nacht hinaus. Malcolm schloß die Augen und stöhnte laut auf; er war gerade auf etwas gestoßen, und dieser Gedanke war in höchstem Maße beunruhigend.
»Mein Gott, was habe ich bloß getan!«
Alberich und die mittlere Norne schauten kurz herein, um sich zu verabschieden, und fanden Malcolm in einer eigenartigen Stimmung vor. Irgend etwas schien ihn aus der Fassung gebracht zu haben, doch was das war, wollte er nicht sagen. Sein Benehmen wirkte ungewohnt kalt und abweisend, ja direkt feindselig. Der Norne tat er leid, aber Alberich konnte das Herrenhaus gar nicht schnell genug verlassen.
»Das gefällt mir überhaupt nicht«, sagte er draußen. »Irgendwas ist schiefgegangen.«
»Was könnte denn jetzt noch schiefgehen?« fragte die Norne.
»Was weiß ich?« antwortete Alberich. »Aber falls doch, bin ich lieber unter der Erde in Sicherheit. Da macht das nämlich nicht soviel aus.«
Eine Zeitlang gingen sie schweigend nebeneinander her, während sich die Norne seelisch darauf vorbereitete, eine Frage zu stellen, die ihr schon lange auf dem Herzen lag.
»Alberich?« tastete sie sich vor.
»Ja?«
»Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, aber hast du der Liebe nicht eigentlich abgeschworen?«
»Ja«, antwortete Alberich. »Aber man wird doch wohl noch seine Meinung ändern dürfen, oder?«
»Ich habe wirklich nicht geglaubt, daß du noch lieben kannst. Jedenfalls nicht, nachdem du einmal den Schwur geleistet hast.«
»Der hat ja nur gegolten, solange ich noch den Ring haben wollte. Aber jetzt, da mir der so egal wie nur irgendwas auf der Welt ist …«
»Wirklich?«
»Ja.« Alberich kam sich reichlich albern vor, doch aus irgendeinem Grund war das anscheinend das einzige, was mit ihm nicht stimmte. In seinem Verdauungssystem schien sich jedenfalls eine ungewohnte Harmonie breitgemacht zu haben.
»Was hältst du davon, wenn wir uns zur Feier des Tages das beste Mittagessen gönnen, das man in diesem gottverlassenen Land für Geld kriegen kann?« schlug er kühn vor. »Ich habe da von einem Laden gehört, wo man sehr schmackhaften Hummer bekommen soll.«
Die Norne starrte ihn verdutzt an. »Macht dir das auch bestimmt nichts aus?« fragte sie.
Alberich lächelte sie liebevoll an. »Jetzt fang nicht auch noch damit an!«
Der Morgen dämmerte fast schon
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