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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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denen zusammenzuarbeiten, und teuer waren die auch immer …«
    Zwar hielt Malcolm das für eine ziemliche Untertreibung, aber dennoch schien ihm die Idee seltsam verlockend zu sein, und er brach sogleich mit der jüngeren Norne zur Besichtigung der Burg auf.
    »Hier könnte man zum Beispiel Tennisplätze anlegen und vielleicht einen Swimmingpool bauen«, regte die Norne an, wobei sie mit ihrem Regenschirm auf die Stelle deutete, an der einst die Schicksalskluft gegähnt hatte. »Oder, wenn dir diese Vorstellung nicht gefällt, wie wär’s dann mit einem Steingarten oder einem Zierteich? Mit echten Gnomen als Gartenzwerge«, fügte sie verträumt hinzu.
    »Ich glaube, ich lege lieber einfach einen Rasen an«, dachte Malcolm laut nach. »Und vielleicht ein paar Rosenbeete.«
    Die Norne zuckte die Achseln und ging mit Malcolm weiter, um sich die Treppe der Unwissenheit anzusehen. »Wie wär’s mit einem Irrgarten?« schlug die Norne vor. »Würde sehr gut passen, wirklich.«
    »Nein«, erwiderte Malcolm. »Ich glaube, eine Garage wäre viel sinnvoller.«
    »Wie du willst. Gefällt dir denn die Burg überhaupt?«
    »Na ja, es ist ruhig hier, und die Nachbarn sind auch nicht übel«, antwortete Malcolm. »Den größten Teil meines Lebens habe ich in Derby gewohnt. Hier ist das natürlich ganz anders, aber leider ist es ziemlich weit bis zum nächsten Geschäft.«
    »Ich hätte nicht gedacht, daß dich das stört, zumal du doch den Tarnhelm und das alles hast.«
    »Das ist schon richtig«, entgegnete Malcolm, »aber manchmal gehe oder fahre ich lieber selbst, nur so zur Abwechslung.«
    »Kein Problem«, erwiderte die Norne. »Dann bauen wir dir einfach eine Nachbildung deiner Lieblingsstadt. Die könnten wir zum Beispiel ›Walhalla New Town‹ nennen.«
    Die Vorstellung einer überirdischen Version von Milton Keynes hätte Malcolm zwar beinahe die ganze Idee verleidet, aber er bat die Norne trotzdem, einen Architekten zu engagieren und einige Entwürfe zeichnen zu lassen. Die Ausführung selbst sollten die Nibelungen übernehmen, die erstklassige Arbeit leisten würden, ohne wie damals die Riesen gleich übertriebene Forderungen zu stellen.
    Auf dem Rückweg kamen Malcolm und die Norne an einem verkohlten Baumstumpf vorbei, der einst die Weltesche gewesen war. Zu ihrer Überraschung sahen sie aus dem toten schwarzen Holz einige grüne Triebe hervorsprießen.
    »Dieser Baum ist schon tot, seitdem Wotan zum erstenmal auf der Bildfläche erschienen ist«, berichtete die Norne. »Anscheinend verkörpert die Esche die Lebenskraft.«
    »Laß jemanden eins dieser kleinen runden Drahtgeflechte um den Stumpf anbringen«, trug Malcolm ihr auf. »Wir wollen ja nicht, daß die Eichhörnchen die Triebe zerknabbern.«
     
    Von der Fahrt nach Walhalla kehrte Malcolm ziemlich ermüdet zurück, doch daran war nicht die Reise schuld, sondern die Gesellschaft der jüngeren Norne. Er setzte sich in den Salon und zog sich die Schuhe aus. Bevor er ins Bett ging, wollte er noch schnell ein Gläschen Schnaps zu sich nehmen und zehn Minuten Zeitung lesen. Ihm wurde bewußt, daß er allmählich in die mittleren Jahre kam, aber solche Überlegungen machten ihm nicht wirklich zu schaffen – denn so etwas Tolles war die Jugend ja nun auch wieder nicht, wie ihm mittlerweile aufgegangen war.
    Er ließ den Blick nach draußen über den Forellenbach schweifen und fand sich plötzlich in Tränen aufgelöst wieder. Einen Augenblick lang konnte er gar nicht verstehen, warum; doch dann wurde ihm klar, was diesen eigentlich ungewöhnlichen Gefühlsausbruch bei ihm hervorgerufen hatte: Der Forellenbach hatte ihn an Floßhilde erinnert, die ihm sogar noch mehr fehlte als die ständig ihre Schuhe musternde Walküre. Floßhilde hatte er sehr schlecht behandelt … Nein, er weinte nicht aus Schuldgefühlen. Er hatte die ganze Geschichte so lange verdrängt, daß er schon gedacht hatte, sie sei erledigt, aber jetzt wußte er, was sein eigentliches Problem war.
    Früher hatte er einmal eine Geschichte über einen Mann gehört, der sein ganzes Leben lang glaubte, mit dem Wort ›Mittagessen‹ sei die Sonne gemeint, und Malcolm fiel auf, daß er sich in ungefähr der gleichen Lage befunden hatte. Noch bis vor wenigen Augenblicken wußte er gar nicht, was das Wort ›Liebe‹ im Grunde bedeutete. Er hatte gedacht, dieses Wort beziehe sich auf die selbsttäuschende und nichtige Empfindung, die ihm das Leben schwergemacht hatte, seit ihm zum erstenmal genügend

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