Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
Vom Netzwerk:
Ziegelsteine und Granitblöcke rutschten wieder an ihren Platz und bildeten abermals Häuser. Glasscherben setzten sich erneut ohne jedes Geräusch zu Scheiben zusammen, aus denen die Risse und Sprünge sogleich verschwanden. Die über die Ufer getretenen Flüsse zogen sich betreten in ihr Bett zurück, wobei sie den Schwemmsand gleich mitnahmen, und die Erdkruste schloß in aller Stille die Spalten. Während dieses außergewöhnlichen Heilungsprozesses bildete sich ein schwacher Nebel, der über dem Boden in der reglosen Luft hing. Die Sonnenstrahlen drangen in ihn ein und brachen sich in allen Farben des Spektrums – so etwas Schönes hatte Malcolm in seinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
    »Was ist das?« fragte er eine vorbeifliegende Taube. Der Vogel blickte verdutzt drein.
    »Ach, das!« antwortete die Taube schließlich. »Das ist doch nur das Testbild.«
    Malcolm zuckte die Schultern und ging wieder ins Haus.
     
    Der Salon schien leer zu sein, und Malcolm war bereits zu dem Schluß gelangt, seine Gäste hätten sich offenbar allmählich gelangweilt und verdrückt, als er plötzlich unter dem Tisch eine Stimme wahrnahm.
    »Was ist passiert?« fragte die Stimme.
    »Nichts«, antwortete Malcolm. »Es ist schon alles vorbei.«
    Mit äußerst beschämtem Blick kroch Erda aus ihrem Versteck hervor. »Mir ist meine gottverdammte Brille runtergefallen!« fluchte sie. »Ich habe gerade danach gesucht, als plötzlich …«
    »Sind Sie auch wirklich sicher, daß Sie die Brille nicht in der Tasche haben?« fragte Malcolm einfühlsam.
    Daraufhin tat Erda so, als suche sie in ihrer Tasche, und man sollte es kaum glauben, aber die Brille war tatsächlich dort. »Danke schön«, murmelte sie verlegen.
    »Keine Ursache.«
    Alberich und die mittlere Norne tauchten hinter dem Sofa auf. Zu seiner großen Belustigung sah Malcolm, daß Alberich die Hand der Norne hielt, um die verängstigte Frau zu beruhigen.
    »Na, siehst du«, sagte der Zwerg, »ich habe dir doch gesagt, daß alles gut ausgeht, oder?«
    Die Norne strahlte ihn warmherzig an, und ihr rundes Gesicht leuchtete vor Dankbarkeit. »Ich weiß gar nicht, was da vorhin über mich gekommen ist.«
    »Das war ganz schön schlau«, lobte Alberich Malcolm, wobei er ganz vergaß, die Hand der Norne loszulassen, obwohl die Gefahr schon längst gebannt war. »Wie haben Sie das bloß geschafft?«
    »Was, das da eben?« fragte Malcolm. »Ach, das war doch gar nichts. Wirklich.«
    Alberich und seine neue Freundin begaben sich ans Fenster. Über dem Horizont hing ein tiefrotes Glühen. Es hätte der Sonnenuntergang sein können, wenn der Schimmer nicht direkt am nördlichen Himmel zu sehen gewesen wäre.
    Alberich betrachtete ihn eine ganze Weile und sagte schließlich: »So was wie die habe ich nie gemacht.«
    »Wie wer?« fragte Malcolm.
    »Wie die Götter«, antwortete Alberich, dann wandte er sich der Norne zu. »Du siehst aus, als könntest du ein bißchen frische Luft gebrauchen. Hast du Lust auf einen kleinen Spaziergang im Garten?«
    Es schien sehr wahrscheinlich, daß sie darauf Lust hatte, und deshalb schlenderten die beiden kurz darauf Arm in Arm davon. Malcolm schüttelte betrübt den Kopf.
    »Wer ist diese Frau überhaupt?« fragte er Erda, die sich eifrig die Teppichfussel von der Jacke wischte.
    »Die mittlere Norne«, erklärte sie.
    »Hat die keinen Namen?«
    »Keine Ahnung, aber wahrscheinlich schon.«
    »Und was ist das für ein Licht am Himmel? Ich dachte, ich hätte alles in Ordnung gebracht.«
    »Das ist die brennende Burg Walhalla«, antwortete Erda leise. »Die hohen Götter sind untergegangen. Die existieren nicht mehr.«
    Malcolm starrte sie entsetzt an. »Alle?«
    »Alle. Wotan, Donar, Tyr, Froh …«
    »Alle?«
    »Die Götter haben sich gegen die Macht des Rings erhoben und sind für schwächer befunden worden«, klärte Erda ihn mit einem Achselzucken auf.
    »Und was ist mit den Walküren?« Malcolms Kehle war auf einmal wie ausgetrocknet.
    »Das waren nur Manifestationen von Wotans Geist«, antwortete Erda. »Könnte man wohl auch Hirngespinste nennen.«
    »Aber das sind doch Ihre Töchter gewesen.«
    »In gewissem Sinne schon.« Erda putzte ihre Brille und setzte sie mit größter Genauigkeit auf die Nase. »Trotzdem bin ich mit denen nie so richtig zurechtgekommen. Jedenfalls nicht in menschlicher Hinsicht. Ich glaube, die waren zu sehr wie ihr Vater. Junge, bin ich froh, den endlich von hinten zu sehen!«
    »Und die sind jetzt alle

Weitere Kostenlose Bücher