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Wir haben Sie irgendwie größer erwartet

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Titel: Wir haben Sie irgendwie größer erwartet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber … aber was ist dann mit den Göttern? Ich meine, bislang habe ich nur herausgefunden, daß es sie tatsächlich gibt. Aber was tun die eigentlich?«
    »Meistens das, worauf sie gerade Lust haben. Wotan – der übrigens der einzige ist, der wirklich zählt – ist allmächtig … nun ja, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Nur mit dem Ring kann er nicht mithalten, weil der weit mächtiger ist als er selbst. Wie du siehst, kann niemand den Ring beherrschen oder ihn dazu bringen, das zu tun, was man von ihm will. Und das ist auch der springende Punkt …«
    Die Gedanken der Taube verblaßten. Offenbar war ihr irgend etwas eingefallen, das sie nicht einmal in Gedanken und erst recht nicht in Worte fassen konnte. Schließlich riß sie sich aber zusammen und fuhr fort: »Es ist natürlich selbstredend, daß der Ring sehr temperamentvoll wird, wenn er den Besitzer wechselt. Niemand läßt sich gern töten, und selbstverständlich haben alle die negativen Gedanken, die Ingolf gestern nacht kurz vor seinem Tod durch den Kopf gegangen sind, zur Verschlechterung der Lage beigetragen. Wie du siehst, geben negative Gedanken dem Ring neue Nahrung. Deshalb auch die Erdbeben.«
    Erneut verloren sich die Gedanken der Taube. Sie spazierte auf dem Tisch herum, pickte nach einem Kugelschreiber und blieb dann wie angewurzelt stehen.
    »Aber niemand wurde bei diesen Katastrophen getötet!« staunte sie. »Das ist merkwürdig, findest du nicht? Hast du dir den Ring sofort angesteckt?«
    »Ja.«
    »Ich weiß zwar nicht, ob das überhaupt möglich ist, aber vielleicht hast du den Ring auf die eine oder andere Weise doch beherrschen können und ihn zumindest dazu gebracht, niemanden zu töten. Wie das allerdings vonstatten gegangen sein soll, das weiß nur Gott. Ich meine, selbst Siegfried bekam ihn nicht unter Kontrolle, und er war weit …«
    »Ich weiß schon«, unterbrach Malcolm die Taube. »So was kriege ich von allen Seiten schon seit Jahren zu hören.«
    »Jedenfalls konnte er den Fluch nicht aufheben, obwohl er wahrscheinlich der einzige war, der die Fähigkeit dazu besessen hätte – schließlich war er Wotans Enkel, stand aber nicht mehr unter dessen Einfluß. Vielleicht hat der Fluch ja auch gar nichts damit … Egal, jedenfalls konnte selbst er gegen den Ring nichts ausrichten, und du brauchst dich ja nur mal im Spiegel anzusehen …«
    »Um diese ganze Fluchgeschichte zu beenden und die Erde davor zu schützen, bräuchte ich der Sage nach den Ring doch nur in den Rhein zurückwerfen. Das war doch der Rhein, oder?«
    Die Taube schlug mit den Flügeln und flog durchs Zimmer, um ihre Gefühle abzureagieren, was allerdings nicht klappte.
    »Idiot!« schrie sie. »Du hast nicht ein Wort meiner Gedanken oder Worte verstanden! Das ist ja wohl das wenigste, was man erwarten kann.«
    »Aber im Buch stand doch drin, daß das Wasser im Rhein Alberichs Fluch hinwegspülen wird.«
    »Welch originelle Ausdrucksart du hast! Menschenskind, du hast einfach nichts von dem kapiert, was ich dir die ganze Zeit klarzumachen versuche! Der Fluch hat nichts damit zu tun. In Wirklichkeit … Tut mir leid.« Die Taube flatterte vom Tisch auf und hockte sich versöhnlich auf Malcolms Kopf. »Ich habe vergessen, daß du nicht daran gewöhnt bist, Gedanken zu lesen. Mir ist nur gerade eingefallen, daß der Fluch nichts damit zu tun hat. Schließlich handelt es sich nur um einen Fluch, der dem Besitzer des Rings Tod und Verderben bringt, das ist alles. Aber der Ring besaß schon Macht, bevor er von Alberich mit einem Fluch belegt wurde. Falls du den Ring in den Rhein wirfst …«
    »Hörst du bitte auf damit, mir auf dem Kopf herumzuhacken?«
    »Entschuldigung. Das mach ich leider instinktiv. Wir Vögel leiden schrecklich unter unseren Instinkten. Aber wo war ich eben stehengeblieben? Also, falls du den Ring in den Rhein wirfst, ist das noch lange keine Garantie dafür, daß die Rheintöchter dessen schlechten Angewohnheiten besser im Griff haben als einst Ingolf. Und selbst wenn sie es könnten und wollten, kann man von ihnen nicht erwarten, den Ring vor den vielen bösen Buben angemessen zu bewachen – vor Wotan, Alberich und den anderen. Ganz zu schweigen von den neuen Kandidaten. Die Rheintöchter haben keine Macht, mußt du wissen, und stellen allenfalls eine Alternative dar.«
    »Welche Alternative?«
    »Denk doch mal nach!« Die Taube lachte gurrend. »Im Mittelalter schien es natürlich unbegreiflich,

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