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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Gäntschow.
    Danke, sagte Wendland, ich bin nie für Abstimmungen gewesen. Ein ordentlicher regierender Bürgermeister, wie wir das in Hamburg haben, ist das Beste. Übrigens wird Herr Vikar Oldörp die Insel zum ersten Januar verlassen.
    Schönschön, sagte Gäntschow. Ich finde, dieser Oldörp fängt an, mir aus dem Halse herauszuhängen. Was nehmen Sie, rechts oder links?
    Rechts, immer rechts, sagte Wendland. Sehen Sie, Gäntschow, wieder schwarz. Es ist doch verhext, und ich fange bald an, mich darüber zu ärgern, immer kriege ich schwarz.
    So etwas kann sich ändern, tröstete Gäntschow. Das Leben ist ziemlich veränderlich. Und man weiß nie, was hinter der nächsten Ecke steht …
    Unterdes aber ritt Frau Christiane auf ihrer Senta durch den nebligen, grauen Tag. Sie ritt zuerst gegen den Leuchtturm von Sagitta hinauf, dessen Nebelhorn in kurzen Absätzen heulte. Dann wendete sie das Pferd und ritt an den noch immer deutlich erkennbaren rasigen Ringwällen der Burg vorüber, in die sich seinerzeit die Ahnen der heutigen Inselbewohner vor dem ältesten ihrer Urväter geflüchtet hatten. Ihr Urvater, Wisso, aber hatte gesiegt, und den ersten Gäntschow hatte er hingerichtet.
    Sie ließ die Senta antraben, und sie wendete den Blick nach der andern Seite, als sie an dem düsteren kleinen Kehlteich und dem noch viel dunkleren Opferstein vorüberritt. Es schien eine ziemlich sinnlose Geschichte, dieses ewige Auf und Ab, dieses Wellengeschaukel des Lebens. Jetzt waren die Gäntschows obenauf, und die Fiddes würde es bald nicht mehr geben, gab es dem Namen nach schon nicht mehr.
    In dieser Stunde kam es ihr ziemlich zwecklos vor, was sie da eigentlich alle Tage machte. Es würde kein sehr großer |470| Unterschied sein, wenn sie eines Morgens ganz im Bett liegen bliebe, um nie wieder aufzustehen. Stupps freilich würde sie vermissen. Stupps freilich würde sogar irgend etwas so Hirnverbranntes machen wie sich totzuschießen, er der Getreueste der Getreuen, der Anständigste der Anständigen, dem egoistischen Hannes weit überlegen.
    Was denke ich mir da für schreckliche Geschichten aus, dachte sie ärgerlich und ließ das Pferd langsam die tief eingeschnittene Schlucht hinunterklettern, in der das Fischerdorf liegt. Stupps würde sich natürlich nicht totschießen, schon weil er jedes Aufsehen und Trara haßte. Zu Stupps paßt viel besser die Zeitungsnotiz: Passagier erster Kajüte vermißt, wahrscheinlich in der Nacht über Bord gefallen.
    Und sie ertappte sich dabei, daß sie an dieser Zeitungsnotiz von ihrem toten Mann herumdichtete.
    Verfluchter Tag, rief sie ärgerlich und schlug mit der Peitsche nach dem Nebel. Sie entdeckte ein Kind, ein unsagbar dreckiges Kind, das mit einem Finger im Munde unter dem vorspringenden Reethdach eines Fischerhauses stand und die Reiterin mit dunklen Augen ernst ansah.
    Komm einmal her, du, rief sie und zwang das Pferd zum Stehen. Ich habe etwas für dich …
    Das Kind kam ohne Scheu langsam näher und streckte die Hand aus.
    Sie suchte in den Taschen. Sie hatte stets Zucker für Senta bei sich, aber heute war natürlich keiner da. Sie fing ärgerlich an, ihre Taschen umzudrehen, was sie dem Kind wohl schenken könnte, aber es war nichts da. Sie hatte alles vergessen, beim Umziehen liegengelassen. Einen Augenblick dachte sie daran, dem Kind wenigstens die Reitpeitsche mit dem silbernen Knauf zu schenken, es kam ihr so schrecklich vor, ohne jede Gabe weiterzureiten.
    Ich habe nichts da, Kind, sagte sie. Ich bringe dir das nächste Mal bestimmt etwas mit.
    Das Kind sah sie aus dunklen, ernsten Augen unenttäuscht an und steckte langsam die Hand wieder in den Mund.
    |471| Ich habe es heute mit den Kindern, dachte Christiane, während sie langsam die Pattchower Steilküste hinaufritt. Vorhin schon. Ich hätte ihm das nie sagen dürfen von der Kinderhand, die Helden umwirft. Darum ist doch seine ganze Ehe so, weil er damals enttäuscht worden ist. Hätte er Kinder, wäre er ganz anders.
    Sie ritt nun rascher an der oberen Kante des Steilufers entlang, unten unsichtbar braute unter dem Nebel die See. Plätscherte sacht. Sie ritt an einem Ausbau-Hof vorüber, ein Mädchen ging, mit Melkeimern klappernd, mit bloßen Armen und Füßen, über die Hofstatt.
    So leben, dachte sie flüchtig, einsam mit einer Arbeit leben, das hätte doch noch einen Sinn.
    Und ganz unwillig: Was denke ich da?! Was für ein Unsinn! Kühe besorgen – als wenn das sinnvoller wäre, als irgendeine andere

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