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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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wie ein Eispanzer: die Vögel finden nichts. Christiane versorgt sie. Das stammt noch aus ihren Kindertagen. Es ist eine Pflicht, eine Verpflichtung. Sie hat Futterplätze für manche Vogelarten. Aber für die Meisen macht sie es so, wie sie es schon als kleines Mädchen gemacht hat: eine Kokosnuß wird in der Mitte durchgesägt, das Nußfleisch ißt man, und nun gießt man die leeren Schalen mit warmem Talg aus, in das Körner gestreut sind. Fett und Körner, das ist es, was die kleinen, eiligen, fröhlichen Vögel brauchen. Sonst ist Christiane kaum je in ihrer großen Küche. Aber die Mischung für ihre Nüsse macht sie selbst. |474| Und überall im Park schaukeln nun an Drähten die kleinen braunen Glocken. Und überall sitzen die Meisen daran, verkehrt herum, mit dem Rücken zur Erde, und picken.
    Die Männer begleiten also Christiane. Sie rauchen ihre Zigarren und bleiben auf dem Wege stehen. Sie sehen Christiane nach, die eilig zu dem und jenem Baume geht. Sie weiß genau, wo jede Schale hängt.
    Nun hören sie, wie sie einen Ruf schmerzlicher Überraschung ausstößt. Sie gehen eilig zu ihr. Sie hält etwas in der Hand. Es ist eine kleine Meise. Tot.
    Sie lag direkt unter der Futterglocke, klagt sie. Hannes, ist sie verhungert?
    Er sieht aufmerksam auf das kleine, grau und gelbliche Tier mit dem schwarzen Kopf. In den Augen scheint noch etwas von dem fröhlich geschäftigen Ausdruck zu liegen, den es im Leben hatte. Eine Kohlmeise, sagt er. Nein, verhungert ist sie wohl nicht. Aber erfroren. Früher blieben sie im Winter nicht hier, aber jetzt bleiben sie oft. Und wenn es zu kalt wird für sie, dann erfrieren sie eben.
    Er streckt einen Finger aus. Nachdenklich sieht er mit seinen großen Augen auf den Vogel. Ein Ausdruck von Zärtlichkeit liegt in seinem Gesicht. Seine Augen lächeln mit tausend Fältchen, sein Mund ist halb geöffnet – und dann dieser vorsichtige, sachte Finger …
    Sauber sagt er. Verträglich, sagt er. Fleißig, sagt er.
    Er gibt dem Vogel einen kleinen Stups auf den Rücken, und mit einem raschen Entschluß: Schenk ihn mir, Tia. Wir haben beim Hof so etwas wie einen Tierfriedhof. Viele brave Hunde liegen dort. Ich grab ihn da ein.
    Sie sieht ihn immer noch an: Natürlich kannst du ihn haben, Hannes, sagte sie mit noch ganz ferner Stimme. Nimm ihn. Sie hält ihn ihm hin.
    Er holte ein gar nicht sehr sauberes Taschentuch aus dem Rock, sah es mit unwilliger Entrüstung an, sagte: Ach Schiet, und wickelte die Meise behutsam darin ein.
    Wieder bewunderte sie die zärtliche Vorsicht seiner Hände.
    |475| Er versenkte den Vogel in seine Tasche und sagte: Also gehen wir weiter.
    Von diesem Augenblick an war alles entschieden. Die ganze Welt war anders geworden. Sie ging umher wie in einem glücklichen Traum, mit leichten Gliedern, immer war sie fröhlich. Manchmal saß sie dann da und überlegte, wie es gekommen war. Es wollte ihr scheinen, als habe sie ihn immer schon so geliebt, als habe sie nur darum schon in der Jugend seine Herrschsucht, seine Dickköpfigkeit, seine üblen Launen ertragen, ihm in ihrer langen Krankheit nicht geschrieben, weil sie ihn so geliebt hatte.
    Aber dann war es doch wieder nicht wahr, sondern diese Liebe war ganz neu, ganz strahlend, ganz unverbraucht. Das blieb am Ende alles ungewiß, gewiß war nur das Heute. Und dieses Heute war mit einem so überwältigenden Licht erfüllt. Sie war so glücklich, wenn sie ihn nur mit Wendland um den Billardtisch gehen und ein paar halblaute Worte wechseln sah, daß es manchmal fast gar nicht zu ertragen war. Und daß man auf sich achten mußte, nicht gar zu viel zu jubeln.
    Es war genau wie im Park, wo jetzt aus dem kältesten Schnee heraus die Christrosen ihre grünen Ranken mit den weißen, großen Blüten hoben. Sie fragte sich staunend: Ist es denn möglich, daß man so glücklich ist? Daß alles, auch das Allerkleinste, plötzlich einen so beziehungsvollen Sinn bekommen hat, so daß alles andere dagegen verblaßt? Sie lächelte die Blumen an.
    Ja, nun blühten die Christrosen. Es war unterdessen Weihnachten geworden. Die große Bescherung in der Halle mit den Leuten war vorüber, und nun saßen sich Wendlands allein gegenüber. Er im Smoking, sie in einem hellblauen, ärmellosen Seidenkleid, in dem sie sehr groß aussah –
    Das wäre ausgestanden, sagte Wendland und rührte gedankenvoll in seinem Glas. Hattest du den Eindruck, Christiane, daß alles richtig war? Daß jeder bekommen hat, was ihm zustand? Nicht zu viel und

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