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Wir hatten mal ein Kind

Wir hatten mal ein Kind

Titel: Wir hatten mal ein Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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nicht zu wenig?
    |476| O Gott, sagte sie lachend, manchmal bist du mit deinen Hamburger Schicklichkeitserwägungen fürchterlich, Stupps. Wer auf dieser Erde bekommt denn das, was ihm zusteht, nicht zu viel und nicht zu wenig? Ich fand, sie sahen alle so vergnügt aus, wie sie es sich in unserer Gegenwart nur getrauten. Und das genügt mir vollkommen.
    In diesem Augenblick aber hörte sie eine, seine Stimme draußen mit dem alten Eli sprechen, und ihr Herz tat einen ganz schnellen Schlag, weil ihr schönster Weihnachtswunsch sich nun erfüllt hatte, denn es war nichts verabredet worden. Und sie öffnete schnell die Tür und rief: Hannes, komm rasch, es ist großartig, daß du kommst! Stupps erwägt eben, ob er zum Hilfsrichter beim Jüngsten Gericht qualifiziert ist …
    Und damit streckte sie dem Eintretenden beide Hände entgegen und sah ihn so vergessen selig strahlend an, daß nun auch sein Herz einen starken Schlag tat und er stille stand und sie ansah. Es war ganz ruhig in dem Raum, und sie standen da und sahen sich an, und das Lächeln verging von ihren Zügen. Aber eine andere Art unsichtbaren Lächelns lag unter der Haut ihrer Gesichter, glänzte in ihren Blicken … Plötzlich hatte auch er verstanden.
    Sie wußte nicht, wie lange dies gedauert hatte. Es schien eine Ewigkeit unermeßlichen Glücks gewesen zu sein, aber es waren wohl nur ein paar Sekunden gewesen. Denn jetzt war Wendland herangekommen und sagte: Richter beim Jüngsten Gericht? Ach nein, Christiane. Wenn ich nur immer weiß, was sich auf dieser Erde schickt. Guten Abend übrigens, Gäntschow. Wir trinken Toddy. Halten Sie mit?
    Und nun schüttelten sie sich alle die Hände und gingen langsam, immer von diesem großen, unendlichen Glück erfüllt, zu dem Rauchtisch. Zweie von ihnen glücklich, heißt das. –
    Gäntschow hatte an diesem Nachmittag, der langsam in den Weihnachtsabend hinüberdämmerte, in seinem Zimmer gesessen, die Schreibtischlampe brannte. Er hatte das gelbe |477| Heft der Neuesten Mitteilungen der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft vor sich liegen und las etwas Gutes und Interessantes über die Regenwürmer, die ihm nach den unsichtbaren, aber sehr merkbaren Bakterien die wichtigsten und freundlichsten Tiere im Acker waren. Das war ausgezeichnet, was dieser Mann da schrieb, und Gäntschows angeborene Abneigung gegen alles Geflügelvieh, das hinter jedem Pflug einherrennt und diese kostbaren Tiere nach Ellen schluckt, wuchs.
    Die Zigarre war ausgezeichnet. Der Rotwein von Reese nicht sehr viel schlechter als der auf Fidde, und so ließ sich dieser Nachmittag-Abend recht befriedigend an. Fort wollte er nicht mehr. Und mit den Leuten hatte er es schon am Mittag hinter sich gebracht. Geld war ihnen doch das liebste. Was sollten Weihnachtsfeiern in einem Haus, in dem keine Kinder waren? Unsinn, blanker Unsinn.
    Er saß und las. Aber nun hob er den Kopf. Die Bimmel an der Tür ging fast ununterbrochen. Er hörte scharren und wispern. Oh, sie hatte die Gewohnheit von Schadeleben beibehalten. Sie hatte sich Kinder aus dem Dorf bestellt. Mochte sie, es ging ihn nichts an. Dort war ihre Seite, hier seine Seite.
    Er las wieder. Aber nun klopfte es an seine Tür, und Olga (die es mit den Vätern ihrer Kinder nicht so genau nahm) steckte den Kopf hinein. Ob Herr Gäntschow nicht zur Feier herüberkommen wollte?
    Nein, sagte Herr Gäntschow scharf. Die Tür klappte, und er las wieder von den Regenwürmern. Siehe da, diese Biester. Auch sie waren nicht nur dunkler Glanz in der Erde und pure Nützlichkeit. Diese Ungeheuer fraßen mit ihrer Erdkost auch Bakterien, gute, brave Bakterien.
    Aber er schiebt das Buch wieder weg und lauscht. Er streckt die Beine weit von sich, er flegelt sich vor lauter Gemütlichkeit in seinem Großvaterstuhl, betrachtet nachdenklich die fehlerlos weiße Asche an seiner Zigarre und lauscht. Siehe da, Elise, siehe da. Sie hat immer gut gesungen. |478| Sie hat eine helle, hohe Stimme. Aber sie kann auch damit läuten wie eine Glocke – weit über alle Kinderstimmen hinaus jubelt sie das »O du fröhliche, o du selige …«
    Richtig, gnadenbringend. Ach, arme Elise. Arme böse, schlechte, törichte Elise, was für eine Frau hättest du werden können, wenn du nur an den richtigen Mann geraten wärest. Du brauchst nur ein schlichtes, regelmäßiges, bürgerliches Heim. Gleichmäßige Temperaturen, einen Hauskater, der sich am heimischen Ofen am wohlsten fühlt. Was für eine herrliche, fröhliche Frau wärst du

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