Wir hatten mal ein Kind
müssen, während Christiane zu Haus saß, ganz ihrer Aufgabe hingegeben, war fast unerträglich.
Er ging rasch in ein Bräu und ließ sich ein Kirschwasser geben, dann noch eins. Die Uhr an der Wand zeigte halb zehn. Er verglich sie mit der eigenen. Es stimmte, es war erst halb zehn. So viel war an diesem Morgen schon vorgefallen, aber es war noch nicht später als halb zehn.
Was sollte er bis halb eins anfangen? Er wußte keinen Menschen, zu dem er hätte gehen können. Er trank noch einen Schnaps. Aber dann ekelte ihn der Geschmack des Alkohols im Munde und er stand wieder auf der Straße. Die |585| grotesk verschnittenen Bäume erinnerten ihn an Wald und Feld.
Er winkte rasch einem Auto und befahl dem ältlichen, sorgenvoll aussehenden Chauffeur, ihn möglichst weit hinauszufahren, gleichgültig, wohin.
Das Auto fuhr an, dann drehte der Fahrer den Kopf mit dem buschigen, traurigen Schnauzbart und fragte, ob Onkel Toms Hütte und der Teufelssee recht wären. Er winkte ungeduldig ja, und die Fahrt begann.
Sie schien ihm endlos. Immer neue Straßen, immer neue Straßenkreuzungen, immer neue Schneewirbel. Und alles war dasselbe, alles wiederholte sich, eintönig und trostlos, und es schien Gäntschow, als ob auch diese Fahrt die Wiederholung einer andern sei, er konnte sich nur nicht erinnern, welcher.
Das Auto hielt. Gäntschow stieg aus und sah verwirrt auf seine Umgebung, auf ein paar im Schneetreiben versunkene Villen und in den Schnee gesteckte Kiefern. Sie sahen wie schlecht gehaltene Reiserbesen aus.
Das ist nicht das Richtige, sagte er, noch weiter raus.
Der Chauffeur betrachtete ihn unmutig, setzte den Wagen aber wieder in Gang. Die Fahrerei begann von neuem. Und von neuem hielt nach endloser Zeit die Taxe, und Gäntschow sah sich wieder die Umgebung an. Sie hatte sich fast nicht verändert. Aus den Villen waren vielleicht Landhäuser geworden. Die Kiefern aber sahen jedenfalls noch genau so struppig aus wie vorher.
Seufzend sagte er: Wieder weiter, und seufzend setzte der Fahrer den Wagen in Gang. Dann aber schob er, langsam fahrend, den Kopf in den Wagen und sagte: Lieber Herr, ich weiß hier ’ne Kneipe, wo wir ’ne Stunde gemütlich sitzen können. Ich leiste Ihnen auch Gesellschaft, und die Wartezeit brauchen Sie mir nicht zu bezahlen.
Er sah seinen Fahrgast abwartend an und setzte erklärend hinzu, auf die Gegend draußen weisend: So bald kommt es hier doch nicht anders.
|586| Gäntschow war kalt. Aber nicht darum nahm er das Angebot seines Chauffeurs an, sondern weil ihm zu seiner eigenen Überraschung die Aussicht auf die Gesellschaft dieses trübsinnigen Mannes nicht mißfiel.
Er bestellte für sie beide Grog, und da saßen sie nun, Fahrgast und Fahrer, beide stumm nach dem Schneetreiben sehend. Na, denn prost, sagte der Chauffeur, sein Glas erhebend. Es ist ja unbescheiden, wenn ich Ihnen zuproste, weil Sie den Grog bezahlen. Aber Sie denken ja doch wohl nicht daran, ehe er kalt ist.
Prost! sagte Gäntschow. Die Uhr war noch nicht ganz dreiviertel elf, noch zwei Stunden mußte er aushalten. Er setzte das Glas wieder ab und sagte unvermittelt zu seiner eigenen, tiefen Überraschung: Meine Frau kriegt nämlich ein Kind.
Jaja, sagte der trübsinnige Mann in der Lederkleidung, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und setzte dann hinzu: Da kann man nur zu Gott beten, daß alles gutgeht.
Wieder war es eine Weile still. Dann raschelte die Wirtin hinter der Theke mit einer Zeitung, und der Mann sagte: Ich habe auch drei.
Wieder war es eine Weile still. Gäntschow spielte mit dem Löffel und sah aufmerksam den Mann an.
Vor allem, daß das Kindchen gesund ist, sagte der Mann. Und wie erklärend, ganz in Trübsinn versinkend: Mein letztes hat nämlich einen Wasserkopf.
Gäntschow saß da und starrte. Die Eiseskälte war von den Füßen an den Beinen hochgekrochen. Er fühlte, wie seine Hände zitterten, und er biß die Kinnbacken zusammen, damit er nicht mit den Zähnen klapperte. Aber die Kinnbacken machten sich wieder frei, und er klapperte doch.
Er stürzte den Rest des Getränkes hinunter und bestellte noch zwei Grog.
Er ist ja schon sieben Jahr, sagte der Fahrer, aber darum spürt er es nur um so mehr. Papachen, fragt er immer, wann |587| wird denn nun meine Birne operiert? Meine Frau hat ihm das vorgeredet. Na ja, es ist ja auch schwer für so ’n Kind. Seine Geschwister sind ganz gesund und spielen auf der Straße. Er sitzt immer zu Haus, immer artig und folgsam. Wird
Weitere Kostenlose Bücher