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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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neu bedenken muß – gelegentlich sogar mit verändertem Ergebnis. Das ist ja im übrigen auch das Prinzip der platonischen Dialoge , daß die Wahrheit immer wieder neu und mit allen Mitteln der kritischen Vernunft befragt wird , um sie tiefer zu begreifen.«
    »Freut mich natürlich , daß ich dir nicht nur immer Löcher in den Bauch frage , sondern , daß du dadurch auch …«
    »Das Problem ist , daß mir deine Anwesenheit weit über den geistigen Austausch hinaus etwas bedeutet , daß also meine Freude , wenn du bei mir bist , nicht immer und ausschließlich die sittliche Vollkommenheit hat , die sie eigentlich haben müßte.«
    »Ja , und?«
    »Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt: Was ich meine ist , daß – wenn ich jetzt mal auf das Bild des Kugelmenschen zurückgreife – , dementsprechend wäre ich vermutlich , bevor wir auseinandergerissen wurden , eher ein Mann-Mann gewesen.«
    »Du meinst , du bist schwul und in mich verknallt?«
    Kuffel starrt die Spitzen seiner lächerlichen karierten Filzpantoffeln an und schweigt. Es sieht aus , als würde ihm im nächsten Augenblick das Rückgrat brechen.
    Carl horcht dem Satz nach , den er gerade gesagt hat , wundert sich , wie leicht er ihm über die Lippen gekommen ist. Er läßt sich in das Sesselpolster zurückfallen , schaut zur Decke , schüttelt den Kopf , ohne zu wissen , was er damit zum Ausdruck bringen will.
    »Ich hatte schon länger mit etwas in der Art gerechnet« , sagt Carl. »Also mir war das durchaus bewußt , ich hätte es von meiner Seite aus jetzt allerdings nicht thematisiert.«
    Kuffel nickt. Sagt nichts. Die Stille hat keine Ähnlichkeit mit der in den Zwischenräumen von Bachs Musik.
    »Ich habe halt eine Freundin. Ulla.«
    Als gäbe es – wenn Ulla aus seinem Leben verschwände – die Möglichkeit irgendeiner Art von körperlicher Berührung zwischen Kuffel und ihm , jenseits von Händeschütteln und Schulterklopfen.
    Carl hat keine Ahnung , wie er fortfahren soll: »Oder habe ich dich falsch verstanden?«
    »Du hättest es etwas weniger rüde formulieren können« , sagt Kuffel leise.
    »Gut. Wahnsinnig schlimm finde ich es jetzt auch nicht.«
    Kuffel richtet sich ein wenig auf.
    »Aber wahrscheinlich ist das nicht gerade das , was du hören willst.«
    »Später im Verlauf des Symposions , nachdem Sokrates gesprochen hat , kommt Alkibiades herein , der schönste Jüngling Athens , den alle Männer begehren. Er ist völlig betrunken und erzählt vor der versammelten Runde , wie er alles versucht hat , um in Sokrates , dem er auf jede vorstellbare Weise nahe sein will , ein körperliches Verlangen zu entfachen. Er hat mit ihm Ringkämpfchen veranstaltet , bei denen er quasi unbekleidet gewesen ist , ihn zum Essen geladen , mit ihm getrunken , die Diener fortgeschickt und sich in der Nacht an ihn herangedrängt , vollständig nackt. Doch Sokrates ließ sich zu nichts hinreißen , er hat nicht einmal die Spur eines Begehrens gezeigt …«
    Carl sieht diesen griechischen Schönling , Al-ki-bi-a-des , einen selbstverliebten Schnösel , dessen Namen auch Holzkamp immer im Mund führt , wenn er von Jüngelchen schwärmt , schwarze Locken , nackt , ölglänzend , den sonnengebräunten Körper auf marmornen Bänken , zwischen zerbrochenen Trinkbechern , Ruhekissen , wie er unter das dünne Tuch kriecht , an Sokrates heranrobbt , mit einem Steifen. Sieht Kuffels gebeugte , untersetzte Gestalt aus der Duschkabine kommen , das Handtuch um die Hüfte geschlagen , wie er umständlich die gerippte Unterhose überstreift , dann wieder Sokrates , das Hutzelmännchen mit dem Gartenzwerggesicht , an dessen faltigem Altmännerrücken sich seidige Jungenhaut reibt.
    »Weißt du , mit einem Mann … Überhaupt mit Männern kann ich mir keine Sachen in der Art – schon die Vorstellung. Das hat nichts mit meiner Sympathie für dich als … Freund , oder wie man das jetzt nennt , zu tun.«
    »Ich bin mir der Tatsache bewußt , Carl , daß wir diese Ebene nicht miteinander teilen werden.«
    »Also du erwartest nicht , daß ich in der Hinsicht versuche , mich oder dir – davon gehst du nicht aus oder? – Weil das wäre dann ein Problem.«
    »Nein. Es ist eine unmögliche Möglichkeit. Auch wenn es schmerzt … – Ich will mich sozusagen , jedenfalls in diesem Bereich , auf das sittliche Niveau des Sokrates hinaufschwingen. Nicht nur wegen der Todsünde , die auf Dauer zu einer schweren Belastung für uns beide werden würde. Es bestünde

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