Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
mißbrauchen , um sich ihre Geliebte gefügig zu machen.
»Das mag im Einzelfall so sein« , sagt er , »aber ich finde nicht , daß man daraus eine Regel ableiten kann. Es landen ja nicht alle , die sich küssen , gleich im Bett. Abgesehen davon ist es einfach schön. Und das Schöne , Wahre und Gute sind doch laut Platon eins …«
»Ich wüßte nicht , wo der Bereich des Schönen tangiert sein soll , wenn man einem anderen Menschen die Zunge in den Mund schiebt und ihm die Essensreste zwischen den Zähnen herauspult.«
»Du hast wohl nie geküßt.«
»Mach dir darüber mal keine Gedanken.«
»Ja oder nein?«
»Findest du , daß man über das Gebot Du sollst nicht töten ausschließlich Mörder befinden lassen sollte , weil sie die einzigen sind , die das Vergehen in seiner ganzen Komplexität beurteilen können?«
»Es ist sinnlos.«
»Also: Augustinus’ Gedankengang hast du verstanden , im Rahmen deiner Möglichkeiten. Wer war denn nun der Meisterdenker , der dir den Weg zur Hölle pflastern will?«
»Wer soll das schon gewesen sein?« , sagt Kuffel.
»Lenders wahrscheinlich.«
Carl will Spiritual Lenders auf keinen Fall verraten.
»Stimmt das?«
Kuffel und Holzkamp haben über die Gräfin Warnstorf Verbindungen in höchste Kirchenkreise. Sie können Spiritual Lenders großen Schaden zufügen. Andererseits macht er es sich als Beichtvater und damit auch ihm als Sünder in schwerwiegenden Punkten vielleicht wirklich zu einfach. Selbst wenn es daran läge , daß Carl nicht alles , was sich in seinem Inneren abspielt , während er mit Ulla zusammen ist , hinreichend detailliert schildert.
»Es gibt auch das Beichtgeheimnis.«
»Das gilt für den Priester , aber nicht für dich. Oder hat Lenders dir Stillschweigen auferlegt? Dann lügt er. Du kannst aus deiner Beichtpraxis erzählen , wem und was immer du willst.«
»Lenders hat gesagt , daß die Liebe zwischen Mann und Frau gut und schön ist , weil sie aus Gott stammt , und daß ich mir deswegen keine Gedanken zu machen brauche.«
»Das war alles?«
»Im Grunde schon.«
»Demnach wäre die gesamte christliche Sexuallehre hinfällig.«
»So hat er das bestimmt nicht gemeint.«
»Das wäre die logische Schlußfolgerung.«
Achselzucken.
»Und wollte er nicht wissen , weshalb diese Frage dich so beschäftigt.«
»Nein. Aber er hatte schon gehört , daß du solche Theorien verbreitest.«
»Hat er das.«
»Holzkamp , du wirst uns noch um Kopf und Kragen reden , wenn du so weitermachst« , faucht Kuffel.
»Ach was: Wenn Lenders sich öffentlich und sogar während der Beichte von unstrittigen Positionen des kirchlichen Lehramts verabschiedet , bedeutet das natürlich , daß wir ganz andere Möglichkeiten haben , gegen ihn vorzugehen. Was meinst du , was passiert , wenn ich Roghmann sage , daß Lenders in Ausübung seines seelsorgerischen Amtes minderjährigen Schülern schwerwiegende Verstöße in sexualibus absegnet …
»Auf mich könnt ihr euch da nicht berufen.«
»Etwas anderes läßt sich dem , was du geschildert hast , schwerlich entnehmen , mein Lieber. Da steht das seelische Wohlergehen Hunderter junger Menschen gegen die häretischen Verirrungen eines eitlen Pfaffen. Wenn du diese Last schultern möchtest , bitte … Notfalls schicken wir ihm noch mal jemanden in den Beichtstuhl , der den Ernst der Lage erkannt hat.«
»Du kannst nicht das Bußsakrament für Kampfeinsätze mißbrauchen , ganz gleich wie berechtigt dein Vorhaben ist« , sagt Kuffel.
»Nichts und niemand wird hier mißbraucht. Die Sachlage ist einfach folgende: Ein junger Mann in seiner Not sucht Rat bei einem Seelsorger , um sich künftig besser vor den Versuchungen des Fleisches zu schützen , doch statt daß er in seinem Bestreben , dem Bösen zu widerstehen , Unterstützung erfährt , ermutigt der Beichtvater ihn darin , nachzugeben und die Stimme des Gewissens zu ignorieren: Das ist ein äußerst schwerwiegender Verstoß gegen die priesterlichen Pflichten. – Wenn wir Lenders nicht über seinen Evolutionismus zu packen kriegen , müssen wir eben eine andere Front eröffnen. Ich werde noch mal mit Roghmann reden.«
»Du könntest auch Prälat Kiewert schreiben , in welche Richtung die Dinge sich hier bewegen. Wir machen einen Zangenangriff. Hinter den Kulissen hat Kiewert sicher noch Einflußmöglichkeiten. Kahlenbeck lag ihm immer sehr am Herzen.«
»Das ist jedenfalls besser , als jemanden zu einer Beichte mit unlauteren Motiven anzustiften.«
Er hat
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