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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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Lenders verraten. Obwohl Lenders ihm schwere Lasten von den Schultern genommen hat. Wenn sie ihn als Spiritual aus Kahlenbeck abziehen , ihn womöglich sogar vom priesterlichen Dienst suspendieren , wird es seine Schuld gewesen sein.
    »Ich will damit nichts zu tun haben.«
    »Das hättest du dir vorher überlegen sollen.«
    Liebste geliebte Ulla ,
    obwohl ich doch eigentlich glücklich sein müßte , daß Du mich liebst und daß wir zusammen sind , steigt in mir immer öfter ein grenzenloser Schmerz auf. Nicht nur , weil Du mir so entsetzlich fehlst: Solange ich Dich vermisse , weiß ich ja immerhin , daß da jemand ist , für den es sich lohnt zu leben. Aber dann verschluckt eine dunkle Macht diese Gewißheit , und ich fühle mich , als würde ich in einem unterirdischen Loch hocken , abgetrennt von allem und jedem – ein Schattenwesen , ohne Empfindungen. Am liebsten würde ich morgens das Bett gar nicht verlassen. Alles , was ich zu tun versuche , erscheint mir sinnlos und kostet unendlich viel Überwindung. Die Menschen hier sind wie eine Bedrohung , der ich nicht standhalten kann , Schüler , Lehrer , Erzieher , alle. Selbst Bart geht mir auf die Nerven. ( Ich frage mich auch , ob seine Fixierung auf E-Gitarre und Rockmusik nicht doch schädlich für seine Seele ist. )
    Wenn ich abends im dunklen Zimmer sitze und aus dem Fenster in den schwarzen Himmel starre , ist es , als würde ich in fremde Gegenden abgetrieben , über die ich nichts weiß , außer daß es aus ihnen keine Rückkehr gibt. Manchmal denke ich , das ist die Hölle , die wirkliche Hölle des selbstverschuldeten Abgetrenntseins von allen liebenden Wesen. Ich bin sicher , daß dort mein Platz sein wird bis in Ewigkeit , wenn nicht ein Wunder geschieht.
    Ich weiß , daß Gott mich ruft , selbst wenn ich seinen Ruf nicht höre , aber ich lebe so , als gäbe es nur das Hier und Jetzt. Versteh mich nicht falsch , ich denke keinen Augenblick darüber nach , uns zu opfern und statt dessen Priester oder Ordensmann zu werden. Es ist vielmehr mein tägliches Scheitern an Jesu Geboten , das mich in die Verzweiflung treibt. Ich soll meine Nächsten lieben , aber ich hasse und verachte sie für ihre Oberflächlichkeit und Gottvergessenheit. Dabei bin ich doch selbst der Verworfenste von allen , quäle Mitschüler , bin rücksichtslos und egoistisch , lieblos in all meinem Denken und Handeln. Obwohl ich weiß , daß der Besitz die größte Hürde auf dem Weg zu Gott ist , habe ich mich noch immer nicht dazu durchringen können , zumindest die überflüssigen Sachen zu verkaufen , sondern im Gegenteil: Vorgestern war ich in Forch und habe mein ganzes Weihnachtsgeld in neue Platten gesteckt: Bachs Wohltemperiertes Klavier und die Englischen Suiten , gespielt von Glenn Gould. Gleichzeitig wird mit jedem Ding , das ich anschleppe , meine Hoffnung geringer , daß mir mein Leben doch noch gelingt. Ich versuche zu beten , aber es gelingt nicht , die Worte drehen sich nur im Innern meines Kopfs. Zwar gehe ich jetzt jeden Morgen vor dem Frühstück mit Jakobus zur Messe , aber auch dort schaffe ich es kaum , meine Gedanken länger als ein paar Sekunden auf das heilige Geschehen zu richten.
    Manchmal komme ich aus der Kirche und will in den Wald rennen und schreien , so laut es geht , daß es bis ins Weltall zu hören ist.
    Es ist nichts als Dunkelheit in mir.
    Und jetzt sterben auch noch meine Fische. Ich weiß , das ist , verglichen mit dem Leid so vieler Menschen , eine Lappalie , aber die Fische sind die Lebewesen , für die ich die Verantwortung trage.
    Als ich eben von einem grauenhaften Gespräch mit H. und Jakobus auf mein Zimmer zurückkam , sah ich , daß der dritte von den Panzerwelsen innerhalb einer Woche dieselben sonderbaren Krankheits- oder Verletzungssymptome aufweist: Wie betrunken torkelt er am Grund hin und her. Sobald er sich dem Ausströmer nähert , kippt er zur Seite , bleibt liegen , als wäre er tot. Nur die Kiemendeckel bewegen sich noch. Nach einer Weile schlägt er wild mit der Schwanzflosse , schießt zur Wasseroberfläche , schnappt nach Luft und sinkt ganz matt wieder zu Boden. Oder er ist so orientierungslos , daß er mit voller Wucht gegen die Scheibe stößt. Genauso war es auch bei den beiden anderen. Oben am Kopf scheint etwas wie ein Riß oder Spalt zu sein , aber ich kann mir nicht vorstellen , daß das Makropoden-Männchen die Welse bei seinen Scheinangriffen tatsächlich lebensgefährlich trifft. In einem meiner Bücher steht

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