Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
mit ihnen ab , verschwindet in einem dunklen Strom , der alles Überflüssige hinwegspült , Hemden , Hosen , bis da nur noch Haut an Haut ist , so nah , daß kein Blatt dazwischenpaßt , nicht einmal Luft. Das Ende der Trennung ist nah , und er – der düstere Rest eines Menschen – wird eins mit einem anderen , zu dem er seit Anbeginn der Zeit gehört hat , wie bei den Kugelmenschen.
»Mir ist warm« , sagt er , richtet sich auf , streift den Pullover ab.
Ullas Blick ist verhangen , kehrt von einem weit entfernten Ort zurück.
Unter ihrer hellblauen Bluse wirft das Hemdchen eigene Falten , die Stoffe umspannen straff den festen BH , der ihre Brüste vor möglichen und unmöglichen Gefahren schützt: eine Panzerung. Er öffnet Blusenknöpfe. Schiebt eine Hand hinein , kriecht die Wölbung hinauf , spürt eine weitere Erhebung , eine kleine , die sich streckt , verfestigt , eingezwängt von dem stahlverstärkten Gewebe , das erst unter den Schlüsselbeinen zur durchlässigen , durchsichtigen Spitze wird , spürt , wie etwas durch sie hindurchläuft , eine elektrische Welle , gefolgt von einem Aufstöhnen , leise und schwer. Sie nimmt seine Hand , zieht sie entschlossen heraus , hält sie fest , während ihre Zungen einander umkreisen , sie Atem gegen Atem tauschen. Dann hat sie seine bewegliche Hand wieder vergessen , ihr Bauch ist weich und fest. Er tastet sich vor , gelangt abermals an die Wölbung unter der Wölbung , weiß nicht , wie diese Seufzer auszuhalten sind. Ulla greift nach seinem Handgelenk , hält es umklammert: »Nicht« , sagt sie. »Das nicht. Sonst passiert was.«
Zweiundzwanzig
»Sag mal , Carl: Hast du immer noch diese Küchenhilfe als Freundin?«
»Sie ist ausgebildete Hauswirtschafterin und lernt Krankenschwester.«
»Wie konnte ich das vergessen , entschuldige.«
»Das meinst du ja doch nicht.«
»Also bitte: Wo ich doch immer so zartfühlend mit deinen Empfindlichkeiten umgehe. – Ist sie eigentlich schön?«
»Nicht so , wie ein Photomodell oder wie … Nastassja Kinski vielleicht. Eher normal.«
»Also nein.«
»Sie ist jedenfalls nicht häßlich.«
»Aber › schön ‹ wäre nicht das erste , was dir einfällt , wenn du an sie denkst.«
»Schöne Augen hat sie.«
»Gut , dafür gibt es keine präzisen Kriterien. – Wie lange trefft ihr euch jetzt schon?«
»Drei Monate.«
»Das klingt aber doch nach etwas Festem.«
»Ist es ja auch.«
»Vollkommenes Liebesglück , sozusagen.«
»Wenn die äußeren Umstände günstiger wären.«
»Und was treibt ihr so , wenn ihr zusammen seid?«
»Wird das jetzt wieder ein Verhör , oder was?«
»Wir führen ein nettes Gespräch unter Freunden , die Anteil aneinander nehmen. Bernhard würde sicher auch gern erfahren , zu welchen Formen des zärtlichen Austauschs ihr inzwischen vorge stoßen seid. – Er als dein Intimissimus ist ja doch auf vielfältige Weise von diesen Dingen betroffen. Oder erzählst du ihm alles , wenn ihr unter euch seid?«
Schweigen.
»Wenn er doch nicht will.«
»Ich weiß nicht , warum er sich so ziert. Die Liebe zwischen jungen Menschen ist doch etwas sehr … Herausragendes. – Ich finde , du könntest uns zumindest ein bißchen daran teilhaben lassen. Vielleicht lernen wir aus deinen Erfahrungen Dinge , die uns selbst eines Tages nützen.«
»Beim Zölibat?«
»Für das seelsorgerische Gespräch zum Beispiel. Die meisten Leute kommen ja nicht zum Priester , weil sie Unterweisung in Fragen des Glaubens suchen , sondern weil sie Probleme mit ihrer Frau haben.«
»Du bist aber kein Priester.«
»Ich an deiner Stelle würde mir die seltene Gelegenheit , daß du uns – also zumindest Bernhard – gegenüber einen Wissensvorsprung hast , nicht entgehen lassen.«
Wie auch immer Carl reagiert , es wird falsch gewesen sein.
»Wir gehen spazieren , unterhalten uns …«
»Worüber zum Beispiel?«
»Wie jeder von uns die Welt sieht , Politik , Philosophie , der Sinn des Lebens …«
»Hat sie da auch Visionen? Ich meine , jenseits von Mann , Haus und Hund? Oder erläuterst du ihr Platons Gedanken über die Aufzucht der Nachkommenschaft unter den Bedingungen eines idealen Gemeinwesens , wie sie in der Politeia formuliert sind?«
»Sie geht eher mit gesundem Menschenverstand an diese ganzen Sachen heran.«
»Und du hast den Eindruck , daß ihre Reflexionen aus Küche und Klinik uns neue Einsichten in die verborgenen Dimensionen des menschlichen Daseins gewähren?«
»Schon.«
»Welche ihrer
Weitere Kostenlose Bücher