Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
Maximen würdest du uns denn zum Nachdenken besonders ans Herz legen.«
»Wie gesagt , sie ist keine Intellektuelle in dem Sinn. Muß sie ja auch nicht sein.«
»Nicht?«
»Nein.«
»Also fassen wir zusammen: Schön ist sie nicht , intelligent ist sie auch nicht … – Warum gibst du dich überhaupt mit ihr ab?«
Kuffel lacht.
Carl sitzt mit offenem Mund da und sucht eine Antwort. Es dauert eine Weile , bis er sagt: »Findest du nicht , daß es für jemanden , der von sich behauptet , Christus nachzufolgen , absolut ungeheuerlich ist , was du da von dir gibst?«
»Man muß den Tatsachen ins Auge sehen.«
»Du kannst den Wert eines Menschen doch nicht allen Ernstes auf Schönheit und Intelligenz reduzieren.«
»Nicht? Was wäre da denn sonst noch zu berücksichtigen?«
Kopfschütteln.
»Ah! Wie konnte ich das vergessen: Als Frau benötigt sie natürlich noch andere Qualitäten. Geschickte Hände , flinke Zunge … – Und? Wie sieht es zum Beispiel mit ihren manuellen Fertigkeiten aus?«
»Auf jeden Fall …«
Carl bricht ab.
»Laß dir doch die Würmer nicht einzeln aus der Nase ziehen. Seid ihr noch bei den Vorspielen oder konntest du schon zum Kern der Sache vordringen?«
Schweigen.
»Also , Bernhard: Entweder ist dein Herzensfreund erstaunlich diskret , oder es wird nicht besonders aufregend gewesen sein. Ich würde letzteres vermuten. Wenn er Sternstunden des Eros erlebt hätte , würde er damit hausieren gehen wie die anderen Schwachköpfe auch , was meinst du?«
»Ich äußere mich dazu nicht.«
»Küßt ihr euch wenigstens? Oder hat Bernhard , der uns allen ja als ein lebendiges Beispiel für Sittenstrenge und Selbstzucht dienen kann , dafür gesorgt , daß du dir um Christi willen jedwede Sinnenlust versagst?«
»Wir küssen uns. Wenn dich das weiterbringt.«
»Küßt sie gut?«
»Schon.«
»Hast du das gehört , Bernhard! Da würde ich mir an deiner Stelle doch ernsthaft Sorgen machen , ungeduscht und schlecht rasiert wie du bist.«
»Hör jetzt auf.«
»Wußtest du übrigens , Carl , daß der Kuß , also der Zungenkuß , entgegen weitverbreiteter Praxis , ausschließlich zwischen Eheleuten erlaubt ist.«
»Blödsinn.«
»… ausschließlich zwischen kirchlich getrauten Eheleuten , während des ehelichen Geschlechtsverkehrs und auch dann nur , wenn der Akt ausdrücklich mit der Absicht vollzogen wird , ein Kind zu zeugen. Ansonsten ist der Zungenkuß , weil es sich dabei um eine quasi-sexuelle Betätigung handelt , Todsünde. Ich hoffe also , du bist dir der Tragweite dessen bewußt , was ihr da tut.«
»Es stimmt nicht.«
»Auf der Basis welcher Qualifikation hast du dazu überhaupt eine Meinung?«
»Nachdem du diesen Quatsch neulich Guntram erzählt hast , habe ich mich erkundigt …«
»Bei wem , wenn ich fragen darf?«
»Spielt keine Rolle.«
»Das spielt sogar eine entscheidende Rolle: Erstens wüßte ich – wüßten wir – gerne , wem du in solchen Fragen dein Vertrauen schenkst , und zweitens können wir ja sonst gar nicht einschätzen , welches Gewicht diese Stimme objektiv gesehen hat. Stöckes zum Beispiel würde sicher jede Form sexuellen Vergnügens unter Pennälern für unbedenklich erklären , ohne daß er auch nur ansatzweise in der Lage , geschweige denn berechtigt wäre , moraltheologische Einschätzungen vorzunehmen.«
»Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist verboten , alles andere …«
»Die entscheidende Frage , mein Lieber , ist , welche Handlungen zwischen Mann und Frau dem Bereich des Geschlechtsverkehrs im relevanten Sinne zuzuordnen sind. Da gibt es in der Tat unterschiedliche Auffassungen , von denen einige plausibel begründet sind , andere schlichtem Wunschdenken angehören , nach dem Motto: Kann denn Liebe Sünde sein …«
»Kann sie doch auch nicht.«
»Natürlich: Es ist die böse , böse Kirche mir ihrer verknöcherten Moral , die diese menschenverachtenden Vorstellungen verbreitet und uns sogar das biblische Liebesgebot madig machen will. – Und dann nickt ihr alle wie die Kälber vor dem Schlachter , und schon hat der Satan noch die niedrigsten Wallungen des Geschlechtstriebs auf das Niveau der göttlichen Liebe erhoben.«
»Die Liebe ist das einzige , für das es sich lohnt , auf der Welt zu sein. Sagt sogar Paulus.«
»Nur müssen wir ehrlicherweise zugeben , daß sie in ihrer von Triebhaftigkeit und Selbstsucht gereinigten Form zwischen geschlechtsreifen Jugendlichen äußerst selten vorkommt.«
»Man küßt mit dem Mund , nicht
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