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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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werden wollen. Guntram vielleicht , das weiß ich nicht , aber ich auf keinen Fall.«
    »Mir ist das egal. Wenn ihr Spaß dran habt.«
    Wieder dieses fürchterliche Wort: Spaß . Als ob Spaß ein Argument für irgend etwas sein könnte.
    »Nein: weil es wichtig ist. Um zwanzig nach sechs aufzustehen , macht mir so wenig Spaß wie dir. Aber es geht auch gar nicht um mich. Jedenfalls nicht in diesem vordergründigen Sinne.«
    »Sondern?«
    »Die ganzen Naturkatastrophen – Hungersnöte , vergiftete Flüsse , sterbender Wald – , der drohende Atomkrieg , das zeigt , daß der Mensch dabei ist , seine eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Im Grunde kann es längst jeder sehen , daß wir auf das Ende zusteuern …«
    »Glaubst du?«
    »Lies mal die Offenbarung des Johannes: › Geht und gießt die sieben Schalen mit dem Zorn Gottes über die Erde! ‹ ruft die Stimme aus dem Tempel den sieben Engeln zu. Und was dann beschrieben wird , ist exakt das , was heute passiert: Der Sonne wird Macht gegeben , die Menschen zu verbrennen , sie werden mit Geschwüren bedeckt sein: Alle Wissenschaftler sind sich einig , daß durch das Ozonloch Hautkrebs bald eine der Haupttodesursachen sein wird. – Daß die Tiere in Flüssen und Meeren sterben , sehe ich hier , aber auch jedes Heimfahrtswochenende bei uns zu Hause am Rhein: Manchmal ist das ganze Ufer mit Fischkadavern übersät. Gewaltige Dürren werden kommen , sogar der Euphrat trocknet aus , und überall versinken die Inseln: Daß die Wüste sich ausbreitet , kannst du jeden Tag in der Zeitung nachlesen , und durch die Erderwärmung schmilzt das Polareis , was einen Anstieg des Meeresspiegels um bis zu zwölf Metern zur Folge haben wird: Das steht alles schon in der Apokalypse.«
    »Dann sollten wir dafür sorgen , daß es wenigstens vorher noch ein bißchen lustig ist , wenn sowieso alles den Bach runtergeht.«
    »So kannst du es auch sehen. Wobei …«
    »Was willst du sonst tun?«
    »Beten eben.«
    »Du meinst , das hilft?«
    »Wenn Er sieht , daß noch Glauben da ist , verschont Gott die Erde vielleicht.«
    »Verstehe.«
    »Deswegen.«
    Bart verstummt. Er zieht erneut den Tabak aus der Jackentasche , klemmt sich ein Blättchen zwischen die Lippen.
    »Soll ich dir auch eine drehen?«
    Eigentlich ist es Sünde zu rauchen. Aber es rauchen auch viele Priester. Krantz zum Beispiel. Kuffel und Heisterkamp qualmen Zigarren.
    »Warum nicht.«
    » › Can you tell me where my country lies? ‹
    said the unifaun to his true love’s eyes.
    › It lies with me! ‹ cried the Queen of Maybe
    for her merchandise , he traded in his prize. «
    Jedes Mal , wenn er die Platte auflegt , fragt er sich , wer oder was der unifaun ist , weder im Oxford Dictionary noch im Englisch-Deutschen Wörterbuch wird er aufgeführt , aber im Grunde spielt es auch keine Rolle.
    Die hohe , seltsam zerbrechliche Stimme , als käme sie tatsächlich aus einem Zwischenreich.
    »Citizens of Hope and Glory ,
    Time goes by – it’s › the time of your life ‹ .«
    Draußen wird es dunkel.
    Der Makropode schimmert so prachtvoll wie auf den Bildern im Buch: neonleuchtende Blaustreifen , dazwischen Rot , als wären Glühfäden dahinter. Seit drei Tagen versucht er vorne links an der Scheibe ein Schaumnest zu bauen , spuckt Blasen zwischen den Schwimmpflanzen an die Oberfläche , vergißt , was er vorhat , beginnt wieder von vorn. Bis jetzt waren es immer zu wenige , als daß man wirklich von einem Nest hätte sprechen können. Nachts fiel das Gebilde auseinander. Offenbar übt er noch. Heute morgen , noch vor dem Unterricht , hat Carl den Ausströmerschlauch des Filters unten über dem Boden befestigt und den Durchlauf auf die niedrigste Stufe gestellt , um die Wasserbewegung zu minimieren. Trotzdem bleibt das , was das Nest werden soll , mickrig und instabil , als wäre der Fisch nicht richtig bei der Sache. Würde das Lorenz’sche Modell stimmen , dürften derartige Stimmungsschwankungen gar nicht vorkommen. Die Instinkthandlung müßte , nachdem sie erst begonnen hat , bis zum vorprogrammierten Schluß ablaufen , unabhängig von den Umständen und vorhersehbar wie eine chemische Reaktion. Aber der Makropode zögert , verliert das Interesse , schwimmt sinnlos geschäftig hierhin und dorthin. Hält mitten in der Bewegung inne. Carl sieht , wie ein Ruck durch den Fischkörper geht. Offenbar erinnert er sich , was seine Aufgabe ist. Er arbeitet zehn , fünfzehn Minuten , als würde er einem genauen Plan folgen.

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