Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
bewegen sich hektisch , als würden sie an Scharnieren auf- und zugeklappt. Erstarren , treiben aufwärts , hängen sich an die Oberfläche , tauchen wieder ab , sobald er das Glas bewegt.
»Und? Ist da das , was du suchst?«
»Schon. Aber ich werde ein bißchen Zeit brauchen , bis ich genug zusammenhabe. Es muß für ein paar Tage reichen , wenn das mit der Zucht endlich etwas werden soll.«
»Ich sitze hier gut.«
Weiter hinten fliegt ein Reiher auf , hat Schwierigkeiten , zwischen den Zweigen hindurchzugelangen. Taumelt , schafft es knapp durch die Kronen eines verschwommen dunklen Waldstücks. Das muß es sein , das dunkle Gebiet: eine flache Kuppe , ringsum von undurchdringlichem Gehölz bewachsen , viele Tannen dazwischen. Leicht zu übersehen. Womöglich wird es mit Absicht verborgen. Laut Holzkamp gibt es von der anderen Seite her einen Pfad , über den man trockenen Fußes auf die Lichtung im Inneren gelangt. Holzkamp hat es aber auch nur gehört. Kuffel und er glauben , daß dort in bestimmten Nächten satanische Orgien stattfinden. Paarungen zwischen Menschen und fleischgewordenen Dämonen. Ihm läuft ein Schauer über den Rücken. Allein der Anblick des Ortes aus der Ferne hat Macht. Wenn es tatsächlich die Möglichkeit gibt , seine Seele zu verkaufen , um eine Frau zu bekommen – kann sein , daß er es eines Tages versucht. Wieder der Schrecken , zu welchen Überlegungen er in seinem Inneren fähig ist. Furcht vor den bösen Kräften , die dort am Werk sind. Sie stammen nicht aus ihm selber. Vielleicht ist er längst auf dem Weg in teuflische Besessenheit.
Er dreht sich um , geht einige Schritte zurück , damit die fremden Gedanken sich nicht in ihm einnisten.
»Der Neue , Vincent , spielt er eigentlich gut?«
»Nicht schlecht. Aber mehr Akustikgitarre. Dieses ganze Folkzeug. Mal sehen. Er ist auch so ganz vernünftig.«
Gewaltige Sünden , bei denen es um Leben und Tod geht. Am Ende wartet ewige Verdammnis. Niemand kann ermessen , was das bedeutet.
Er wechselt abermals die Stelle , taucht den Kescher ein , gibt weitere Larven ins Glas , hat einen größeren Fang als zuletzt , zwei Wasserläufer sind darunter , sie schießen auf der Oberfläche hin und her. Er schnippt sie mit dem Daumennagel heraus.
»Man spürt schon , daß er nicht von Anfang an hier war.«
»Das finde ich gerade gut. Mal mit jemandem zu reden , für den diese ganzen Sachen normal sind , Frauen , Liebe und so.«
Wahrscheinlich merkt Bart nicht einmal , daß sie längst in verschiedenen Welten leben.
»Ich glaube , es sind genug. Vielleicht mögen die Fische das Zeug auch gar nicht.«
Er stapft in den Spuren , die er selber getreten hat , ans Ufer zurück. Immer noch steigen Blasen auf.
»Das ist alles tot hier« , sagt er. »Kahlenbeck mit seinen Abwässern und den Tonnen von Kunstdünger für die Gemüsefelder hat dafür gesorgt , daß das ganze Ökosystem gekippt ist.«
»Da kann man nichts mehr machen , oder?«
»Es wird in eine große Katastrophe führen , wenn du mich fragst.«
Er stellt Glas und Kescher ans Ufer , stützt sich an einen Baum , versucht erst den einen , dann den anderen Stiefel zu reinigen , wenigstens grob , anschließend seine Hände. Die Hautrillen bleiben schwarz , als hätte er sie in Altöl getaucht. Setzt sich neben Bart , die Füße von sich gestreckt , hält ihm das Glas vors Gesicht:
»Schau: Die längeren , die so komisch einknicken , das sind Mückenlarven. Und dazwischen , die kleinen durchsichtigen , heißen Wasserflöhe , obwohl es sich eigentlich um Kleinkrebse handelt. Nährstofftechnisch sind nur die Mückenlarven von Bedeutung.«
»Da werden Mücken draus?«
»Vorher sind sie gefressen.«
»Aber im Prinzip würden das fiese kleine Moskitos , die dir nachts im Bett um die Ohren surren und dein Blut saugen wie normale Mücken?«
»Das sind normale Mücken.«
»Klingt nach Amazonas.«
Bart lacht. Sie lachen beide.
»Willst du immer noch da hin? Brasilien? Fische entdecken und Indianer bekehren? Mit dem Einbaum die Flüsse hinauf? Malaria , Typhus , Fieber , der ganze Mist?«
»Das nicht gerade , aber Ichthyologie schon.«
»Kann ich mir auch vorstellen für dich. Besser jedenfalls als …«
»Als was?«
»Als Pfaffe halt.«
»Wer sagt , daß ich Pfaffe werden will?«
»Jetzt , wo du doch morgens immer freiwillig in die Messe gehst …«
»Was hat das damit zu tun?«
»Weiß ich ja nicht. Guntram sagt das , der macht es ja auch.«
»Doch nicht , weil wir Priester
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