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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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heftiges Vibrieren durchläuft den Körper , dann setzt er die Arbeit fort , jetzt aber nicht mehr selbstvergessen , sondern demonstrativ. Ihr soll klar sein , daß er es um ihretwillen tut , nicht einfach nur so. Tatsächlich schwimmt sie direkt auf ihn zu. Immer noch jederzeit bereit abzutauchen. Doch das Männchen jagt sie nicht fort. Es richtet seine Rücken- und Schwanzflosse hoch auf , sie sind Prunkschild und Banner , rotglühend , mit einem Firmament aus blauen Lichtpunkten durchsetzt. Sie schwimmt vor ihm hin und her , neugierig , fordernd und abwartend zugleich. Nimmt mit sachlichem Interesse das Nest in Augenschein. Prüft , ob es tragfähig ist , sicher , geräumig. Noch traut sie ihm nicht. Er strafft sich , spannt seine gesamte Muskulatur , paradiert stampfend , bebend , ein Flamencotänzer in Feuergewändern , schießt vor und zurück , minimale Positionswechsel , ruckartig , blitzschnell. Sie umkreisen einander. Das Weibchen hat alle Scheu verloren , stößt ihn mehrfach in die Seite. Es ist ein Signal , er kennt es , will , daß sie es wieder tut. Sie zögert , beide halten einen Moment inne , beäugen sich , er spreizt die Flossen , bis sie beinahe reißen , stößt im Zickzack um sie herum. Einen Moment später wird aus Verlangen und Imponiergehabe Wut. Er verblaßt innerhalb einer Sekunde , rast direkt auf sie zu. Schneller als Carl schauen kann , hat sie sich in den Wurzelstock gerettet. Aber diesmal hält die Furcht nicht lange. Sie beobachtet ihn , tastet sich schon wieder heraus. Als wäre nichts geschehen , beginnt er erneut zu bauen. Wahrscheinlich spürt er sie über sein Seitenlinienorgan: des Flimmerns ihrer Brustflossen , die heftig atmenden Kiemendeckel. Es dauert eine Weile , bis sie sich wieder vollständig zeigt. Mit wenigen kurzen Schwanzschlägen kommt sie direkt unter das Nest , macht sich so klein und unscheinbar wie möglich. Das Männchen duldet sie , spannt die Flossen auf. Sie schwimmt in seine Seite , einen Moment lang sind sie einander ganz nah , dann bricht die Spannung ohne Grund ab. Sie trennen sich. Diesmal vertreibt er sie nicht , nimmt Luft auf , spuckt einige neue Perlen. Er präsentiert sich in äußerster Pracht. Wieder umkreisen sie einander. Carl wagt kaum zu atmen , vermeidet alles , was die Fische stören , was in letzter Minute verhindern könnte , daß sie sich paaren. Zum ersten Mal überhaupt beobachtet er eine Art dabei. Er stellt sich vor , wie es sein wird , wenn das ganze Becken voller Jungfische ist. Spätestens übermorgen braucht er Staubfutter. Jemand muß mit ihm nach Forch fahren. Kuffel. Er wird Kuffel bitten , an seiner Stelle bei Miegel im Laden Aufzuchtfutter und Salinenkrebseier zu kaufen.
    Erneut paradiert das Männchen vor dem Weibchen auf und ab. Seine Färbung wird mit jeder Annäherung leuchtender. Wieder schwimmt das Weibchen ihm in die Flanke , setzt ihm mit dem Maul kurze Stöße auf den Leib , es sind Küsse , schiebt sich an ihm hinauf , in diesem Augenblick klappt sich das Männchen wie ein Messer um ihren Körper , dreht sich und sie in ihm auf den Rücken. Beider Unterseiten berühren beinahe das Nest. Ein langanhaltendes Zittern , Eier und Samen werden ausgestoßen , Hingabe , Bewußtlosigkeit.
    Die Eier sind winzig , durchscheinend , kaum zu sehen. Leichter als Wasser steigen sie zwischen die Schaumperlen , während die beiden Fische starr ineinanderverkeilt dahintreiben oder -schweben , regungslos , wie tot , schwerer werden , unendlich langsam zu sinken beginnen. Noch immer umschließt sein Körper den ihren , aber nicht mehr mit seinem Willen oder weil der Instinkt ihn mit Gewalt dazu zwingt. Es ist ein Nachhall. Vergessenheit. Ein fernes Echo in der äußersten Stille , während sie fallen und fallen und fallen. Unendlich langsam kippt das Weibchen aus der Umarmung heraus , wehrlos , verloren. Wenn jetzt ein Räuber käme , einer der riesigen Welse , die es in Südostasien gibt , sie hätten nicht die geringste Chance zu flüchten , sie würden nicht einmal merken , wie er sie beide mit einem einzigen Aufreißen seines riesigen Mauls frißt.
    Aber hier im Aquarium sind sie sicher.
    Das Weibchen ruht einen Moment lang auf dem Algenteppich über dem Höhleneingang der Wurzel aus , sammelt sich , steigt wieder auf , während das Männchen weiter stürzt , an ihr vorbei ins Bodenlose.

Sechsundzwanzig
    Lieber Carl ,
    das ist jetzt bestimmt schon mein zwanzigster Versuch , an Dich zu schreiben , und wahrscheinlich wird auch

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