Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)
so?«
»Ach. Jetzt gerade schon viel besser. Aber ich bin auch unsicher , wie ich mich verhalten soll , weißt du.«
»Klar.«
»Eigentlich … Es läuft alles so vor sich hin , Krankenhaus , Berufsschule , Familie , Freunde … Ich lese viel , aber mehr zur Entspannung. Krimis hauptsächlich. Richtige Glücksmomente fehlen halt , seit …«
»Laß uns hier rechts gehen. – Kannst du das mit den Schuhen?«
Sie lacht. Von ihrem Lachen bleibt ihm das Herz stehen.
»Ist ja nur trockene Erde« , sagt sie und nimmt die Schuhe in die Hand.
Dann haben sie genug Platz , um nebeneinander zu gehen , aber sie hüpft an ihm vorbei ein paar Schritte voraus , um zu zeigen , wie frei und lebendig sie sich fühlt , jetzt wo sie bei ihm ist.
Möglich , daß sie zugenommen hat. Vielleicht fällt das Kleid auch ungünstig.
»Und wo führst du mich diesmal hin? Wieder zu so einem Stück vom Paradies? Hattest du nicht erzählt , daß es hier auch irgendwo diese kleinen blauen Schmetterlinge gibt?«
Er sagt nicht , daß sie ihn nicht daran erinnern soll.
»Bläulinge. – Das ist an einer anderen Stelle. Weiter hinten Richtung Halm.«
Sie bleibt stehen. Unsicher. Vielleicht hat sie den dunklen Anflug in seinen Zügen bemerkt , lächelt: »Lenza war schön. Da würde ich gerne noch einmal mit dir hin. Ohne das Kahlenbeck-Drumherum.«
»Vielleicht machen wir das eines Tages.«
»Das wäre doch ein Ziel.«
Im Augenblick hätte er nicht einmal das Geld für die Zugfahrt.
Vor ihnen dichtes Gestrüpp , hohe Büsche. Der Pfad verschwindet , niemand , der nicht weiß , daß er dort beginnt , würde ihn finden.
»Ich gehe vor« , sagt Carl , hält Zweige zur Seite , damit sie ihr nicht ins Gesicht schlagen. Ullas Blick ist auf den Boden gerichtet. Sie muß auf Dornen achten , daß die Brombeerranken ihr nicht die Beine aufratschen.
Rechts hat jemand eine Rolle Klopapier zwischen den Ästen hindurchgeworfen wie eine Luftschlange. Sie wechselt mehrfach die Richtung , schlingt sich um einen Stamm , das Ende hängt aus vier oder fünf Metern Höhe von einem Tannenzweig.
»So etwas Hirnverbranntes« , sagt Carl.
»Blöde Leute , oder?«
Ulla schiebt sich dicht an ihm vorbei , ihr Rücken streift seinen Oberarm. Einen Augenblick lang hält sie inne in der Bewegung , lehnt sich zurück. Er soll sie spüren: die Wärme ihres Körpers auf seiner Haut. Er streicht ihr über die Seite , es kann zärtlich oder freundschaftlich sein. Die Äste , die er wegbiegt , drücken immer stärker gegen seinen Arm. Lange wird er sie nicht halten können. Trotzdem oder deshalb berührt er mit spitzen Lippen ganz leicht ihren Hals , atmet auf einen Punkt hin aus , weiß nicht , was es bedeutet. Jetzt ist sie ihren Schritt zu Ende gegangen. Noch immer trägt sie die Schuhe in der Hand. Er folgt mit einem Sprung. Hinter ihm schnellen die Äste zurück , eine scharfe Spitze zieht ihm durch den Stoff einen Kratzer quer über die Schulter. Es brennt.
»Hast du dir wehgetan?«
»Nur ein bißchen.«
»Zeig mal.«
»Wozu?«
»Ich bin Krankenschwester.«
Ulla lacht , Carl dreht sich um , sie schiebt sein T-Shirt hoch , zeichnet mit den Fingerspitzen eine weiche Linie unterhalb des Schmerzes.
»Ein bißchen Blut.«
»Da siehst du , ich opfere mich auf dir zuliebe.«
»Ist es noch weit?«
Er schüttelt den Kopf , legt ihr die Hand in den Rücken , schiebt sie ein wenig , zögert , sie zu umarmen , geht wieder voran. Blätter schlagen ihm ins Gesicht. Er duckt sich. Ulla hinter ihm tut es ihm nach. Sie bewegen sich , als würden sie durch ein Meer aus Laub schwimmen.
Dort wo er hinwill , werden sie ihre Ruhe haben.
Er dreht sich um , ob sie folgen kann oder Schwierigkeiten hat , erschrickt ernsthaft über ihre Frisur. Fragt sich , ob er sie noch schön findet , ob sie überhaupt je schön gewesen ist. Was in ihrem Gesicht hat so geleuchtet , daß er ganze Nachmittage damit zugebracht hat , ihr Photo anzuschauen?
Zwischen den Zweigen öffnet sich der Blick auf die Kerme. Hier ist sie ein klarer , ruhig dahinfließender Bach , der seinen Lauf mit jedem Hochwasser verschiebt. Verkrüppelte Weiden beiderseits des Ufers. Carl läßt sich auf einen Baumstumpf fallen , schaut auf die Uhr. Ulla steht vor ihm , unsicher , ob er sich wünscht oder gerade nicht möchte , daß sie sich zu ihm setzt. Sie würden sich berühren. Carl weiß selbst nicht , was er will , schaut sie trotzdem aufmunternd an , sagt: »Hier ist Platz genug für uns beide.«
Sie lehnen
Weitere Kostenlose Bücher