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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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auf ihrem Bett gesessen hätten , sonst nichts. Dann soll Schuckart hereingestürmt sein , sich auf ihn gestürzt und auf ihn eingeprügelt haben wie ein Irrer. Mantz’ Vater , der Rechtsanwalt ist , hat damit gedroht , Schuckart wegen Körperverletzung anzuzeigen , wenn Roghmann ihn schmeißt.«
    »Hoffentlich.«
    »Im Grunde kann es uns ja egal sein.«
    »Mantz ist bei der Tochter seines Lateinlehrers auf dem Zimmer gewesen. Wenn das mit Schmeißen bestraft wird , was soll denn dann überhaupt noch erlaubt sein mit einer Freundin? Briefe schreiben , die sie dann in der Verwaltung mitlesen , oder was?«
    Kuffel knurrt , steckt eine Kerze an , nimmt eine Tüte Erdnußflips vom Regal , füllt sie in die Schüssel auf dem Tisch. Geht zum Plattenständer , zieht eine rote Hülle mit golden geschwungener Schrift heraus , lacht , als hätte er einer Ratte das Genick zertreten.
    »Eigentlich sollte man diese Musik nicht hören« , sagt er. Andererseits ist es nützlich zu wissen , wie vielgestaltig seine Erscheinungsformen sind. Da kann man sich besser wappnen.«
    »Wovor?«
    Lacht wieder , jetzt kurz und trocken.
    Carl schüttet sich eine Handvoll Flips in den Mund. Er ist halb verhungert. Es gab Grießschnitten zum Abendessen , dazu tomatenfreie Tomatensauce , Bratkartoffeln mit Ei , heute in glibbriger Konsistenz.
    Kuffel tritt zur Stehlampe , die Schallplatte vorsichtig zwischen Daumen- und Zeigefingern beider Hände geklemmt. Stößt mit dem Unterschenkel gegen Carls Knie , wirft ihm einen verstohlenen Blick zu. Hält die Berührung aufrecht , dreht die Platte im Lichtkegel , pustet , legt den Kopf schräg , verzieht die Mundwinkel. Fremde Wärme dringt durch Carls Jeans bis zur Haut. Er widersteht dem Reflex , das Bein ruckartig fortzuziehen. Damit würde er offen unterstellen , daß Kuffels Berührung , die theoretisch auch infolge der Enge zwischen Bett , Sessel , Lampe und Couchtisch zustande gekommen sein kann , mit Absicht erfolgt ist , aufgrund des völlig inakzeptablen Verlangens , ihn auf eine Weise körperlich zu spüren. Wenn er Kuffel nicht zu etwas ermutigen will , und das will er auf gar keinen Fall , muß er angewidert aufstehen , › Grab mich nicht an , schwule Sau! ‹ schreien , so laut , daß jeder auf dem Flur es hört , hinausstürmen , die Tür hinter sich zuschlagen. Danach wären all ihre weiteren Begegnungen peinlich: beim Morgengebet , zu den Mahlzeiten , Gottesdiensten , vor der Telephonzelle , auf Spaziergängen , das ganze Schuljahr lang , bis zu Kuffels Umzug in den Primanerbau. Es gäbe niemanden mehr , der Antworten auf seine Fragen zu Gott , der Kirche , Geist , Materie , Sein , Gut und Böse , Engel , Teufel , Hölle hätte. Und keiner würde ihm Romane empfehlen , in denen Menschen vorkommen , die von denselben Empfindungen getrieben werden wie er selbst. Carl atmet hörbar aus , es ist mehr ein Seufzen , fährt sich mit fettigen Fingern durchs Haar , schlägt so lässig wie möglich sein rechtes Bein über das linke , sagt: »Stimmt was nicht mit der Platte?«
    »Kratzer« , sagt Kuffel , wiederum gefolgt von einem schnellen Blick aus dem Augenwinkel. »So ist es jedesmal , wenn ich Holzkamp etwas leihe. Das Beethoven-Konzert neulich kam mit einem Sprung zurück. Es hat einfach keinen Sinn , westfälischen Bauern Musik nahezubringen.«
    Er schimpft vor sich hin , legt die Platte auf den Spieler und reinigt sie mit der Kohlefaserbürste , ehe er den Tonarm in die Seitenmitte schiebt , den Hebel betätigt. Mit einem Krächzen setzt die Nadel auf , hüpft einen Zentimeter zurück.
    »Wie gesagt , ein problematisches Stück von einem schwierigen Komponisten – Franz Liszt. Kennst du Musik von ihm?«
    Carl schüttelt den Kopf.
    »Wir fragen lieber nicht , wem er seine Berühmtheit verdankt. Im Grunde ist es aber auch keine Frage. Er macht ja nicht einmal selbst den Versuch zu verbergen , daß er die Herrschaft über seine Seele abgetreten hat. Du mußt dir Photos von ihm anschauen , da läuft es einem eiskalt den Rücken runter.«
    Carl kann allenfalls vermuten , wovon Kuffel spricht.
    »Dieser Walzer , wenn man es denn so nennen will , wird dir eine Ahnung geben , was ich meine , wenn ich vom mysterium fascinans diaboli spreche , also von der verführerischen Schönheit des Bösen. Die es , wenn man der Auffassung Platons über die innere Einheit des Wahren , Guten und Schönen folgt , streng genommen gar nicht geben kann.«
    »Verstehe.«
    »Ich hole uns Bier.«
    Ruhige

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