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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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Klaviermelodien , schwebend , wie traumgeboren , entfernen sich langsam , klingen aus. Keine Spur von Gefahr , Finsternis. Knistern , Knacken. Zwischen Staublauten dehnt sich Stille , wird übermächtig. Carl hält den Atem an , wundert sich , wie lange die Pause dauert. Dann aus der Leere dazwischen , plötzlich , obwohl er doch mit etwas gerechnet hat , ein Anschlag , hart , glasklar , ohne Rücksichten , schneidende Luft wie Durchzug im Winter. Die Tür in eine andere Welt steht offen. Jemand ist hereingekommen. Mit dem ersten Ton setzt er Carls Gedankenbewegung außer Kraft , zwingt sie in einen anderen Rhythmus. Ein Wesen mit eigener Sphäre , so groß wie ein Himmel unter dem Himmel , mitten in Kuffels Zimmer. Undurchdringliches , das sich übereinanderlagert , Schicht für Schicht , ein dunkler Turm mit düsteren Scharten , scharfen Zinnen , dazwischen Abstürze , Schmerz. Die Luft zittert. Ein Vibrieren , das sich überträgt , verursacht von einem , der zu bestimmen hat , dessen Willen man sich nicht einfach entzieht. Seine Anwesenheit hat nichts mit der gewöhnlicher Menschen zu tun. Statt Fleisch und Blut , Eis und Feuer. Kein Grund zur Furcht. Versprechungen , Lügen.
    Carl weiß einen Moment , daß es besser wäre , den Plattenspieler anzuhalten , nicht weiterzuhören. Aber dann würde er etwas verpassen. Vielleicht hat er sich auch getäuscht. So unerbittlich , rücksichtslos , wie es Sekunden zuvor klang , ist es gar nicht. Nur Musik , ein Walzer: brillante Läufe , virtuose Sprünge , Arpeggien. Beinahe zuvorkommend wirkt er jetzt , der Fremde in den Klängen. › Jeder , wie er will ‹ , sagt er lächelnd , tritt einen Schritt zurück , verbeugt sich galant , dreht sich blitzschnell auf dem Stiefelabsatz , gibt seinem Gesicht einen freundlichen Anschein , ist von einnehmendem Wesen , leutselig , volksnah , einer wie alle , lacht ein offenes Lachen , tut so , als ob das hier ein Scherz wäre , ein Spiel und ein Zeitvertreib , wie an Fasching , beim Jahrmarkt , was spricht denn dagegen , ein neues Kostüm zu probieren , sich selbst in einer anderen Verkleidung zu versuchen , mit unabsehbaren Möglichkeiten. Ein Aufstieg in schwindelnde Höhen ist denkbar oder Erkundung der tiefsten Tiefen , wo die wirklich mächtigen Mächte ihren Aufenthalt haben , die , die jeden Wunsch erfüllen und die dunklen Künste beherrschen. Vielleicht sind sie gar nicht so schlecht wie ihr Ruf. Es wartet ein Willkommensgruß , kleine Geschenke. Wenigstens einmal , heute , jetzt , das Kleinklein der Gewohnheitsmenschen von sich werfen. Wer es nicht wagt , hat nichts zu gewinnen. Lächerlich , wie die Angstgebeugten ihrer fest verschnürten Dame um die Taille fassen , das zarte Händchen halten , sich hübsch umeinanderdrehen , im Takt des Tanzschulenbenimms. Sie tauschen Artigkeiten , anstatt die Glut zur alles verzehrenden Flamme anwachsen zu lassen. Aber der , der sich hier dreht , gedreht wird , gibt sich nicht mit Geplänkel ab , greift ins Fleisch , reißt den Raum auseinander , daß die wirbelnden Körper nicht beengt werden , Taumel , Hingabe. Fliehkräfte aus aufeinandergetürmten Dissonanzen zerren an den Gesichtern , scharf geschliffene Fingernägel dringen in Haut , hinter wulstig aufgeworfenen Lippen blecken Zähne. Eisregen , Wüstenstürme , mitten im Zimmer , im Schankraum , im Ballsaal. Ein Wischer der gewaltigen Hand: vorbei. – Erneut dieses Lächeln und in Carls Herzgegend ein Kitzeln , das ihn auflachen läßt. Lust und Angst , Verzagtheit , Übermut. › Es war nicht böse gemeint ‹ , beteuert der Fremde , › schau: ‹ Zeichnet mit poliertem Ebenholzstock Figuren in die Luft , Umrisse von Frauen , Vogelflug. Der , der bereit ist , sich in seine Hände zu begeben , wird über sich selbst hinauswachsen. Jeder Wunsch ist erfüllbar , wenn er ihm nur Vertrauen schenkt , die Furcht hinter sich läßt. Keine Grenze wird ihn hindern. Sollen doch die Verzagten , Mutlosen in die Knie gehen , das Rückgrat beugen , die , die Gewürm sind , nicht wert , zertreten zu werden. › Steig über sie hinweg , nimm , was dir gehört , tu , was du willst. – Es ist ein Angebot , mehr nicht , niemand wird dich zu etwas zwingen. ‹
    Kalte Luft stürzt von oben durch Fensterritzen. Die Kerze flackert , wie von unsichtbaren Händen bewegt. Carl spürt einen Schauer den Rücken entlang , schaut hinauf , versucht etwas zu erkennen im Dämmer. Fragt sich , wo die Drohung zwischen all den Nettigkeiten herrührt. Steigt auf

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