Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Weihrauch und alten Büchern riechen. ‹ «
    »Aber ein neuer Golf , wie ihn Lohfing zum Beispiel fährt , kostet mit Sicherheit das Doppelte von so einem zwanzig Jahre alten Citroën.«
    »Seit Lenders hier ist , war die Kiste schon zweimal in der Werkstatt. Neulich kam er in die Sakristei und hat gejammert , die Reparaturen seien ein Faß ohne Boden. Doch anstatt daß er sich einen unauffälligen , aber fahrtüchtigen Wagen kauft , von mir aus einen gebrauchten , investiert er sein Gehalt in Handwerkerstunden und Ersatzteile , die eigens aus Frankreich herbeigeschafft werden müssen. Für mich sieht das beim besten Willen nicht nach Askese im fortgeschrittenen Stadium aus.«
    »Selbstinszenierung. Das bohemistische Spiel mit dem Armutsgestus: der Priester von heute , Seite an Seite mit hungernden Künstlern und verkannten Dichtern.«
    »Kersten hat gesagt , daß Lenders ziemlich viel von seinem Geld an alternative Projekte gibt.«
    »So , tut er das? – Wahrscheinlich an befreiungstheologische Bauernkommunen in El Salvador.«
    »Seine Jacketts , die Schuhe , Carl , das ist alles Markenware. Aigner , Lacoste und wie sie alle heißen.«
    »Aber hat Winfried … Winfried , hast du dir nicht gerade erst eine Trachtenjoppe mit Hirschhornknöpfen für dreihundertfünfzig Mark gekauft?«
    »Ich wüßte nicht , was gegen diese Jacke spräche. Das ist normale Herrenbekleidung , in einer ordentlichen Qualität.«
    »In Bayern vielleicht normal.«
    »Formschön und zweckorientiert.«
    »Aber auch sauteuer und das Gegenteil von unauffällig.«
    »Wollen wir jetzt vergleichen , wessen Kleider wieviel gekostet haben und ob das mit dem Evangelium vereinbar ist?«
    »Ich meinte ja nur , daß es heißt , man soll sich erst mal um den Balken im eigenen Auge kümmern , bevor man den Splitter aus dem Auge seines Bruders zieht.«
    »Offenbar hast du die umfassende Bedeutung dieses Jesus-Wortes noch nicht begriffen. Deshalb würde ich an deiner Stelle jetzt einen Moment innehalten , nachdenken , und wenn der Groschen gefallen ist , sofort mit der Umsetzung beginnen.«
    »Mir ist es egal , was für Kleider Spiritual Lenders trägt und was für ein Auto er fährt , ich finde , daß er wahnsinnig nett ist. Verglichen mit Krohkes sowieso , aber auch sonst.«
    »Spätestens wenn die Leute über mich als Priester sagen werden , daß ich › wahnsinnig nett ‹ bin , weiß ich , daß ich meine Berufung verfehlt habe.«
    »Was müssen wir uns denn unter › nett ‹ vorstellen , Carl?«
    »Man kann sich einfach gut mit ihm unterhalten.«
    »Worüber zum Beispiel?«
    »Über all die Sorgen und Probleme , die man so hat.«
    »Hast du Probleme?«
    »Carl meint , daß unser neuer Spiritual eine Art personifizierter Kummerkasten ist: › Deine Freundin will nicht mit dir schlafen? – Frag Stefan Lenders. ‹ «
    »Nein , im Moment habe ich keine Probleme , aber wenn ich welche hätte , würde ich mich von allen , die hier herumlaufen , ihm am ehesten anvertrauen.«
    »Du siehst , Bernhard: Die Masche mit dem Existentialistenauto funktioniert.«
    »Vielleicht solltest du deine Kriterien bei der Beurteilung eines Priesters überprüfen , Carl. Daß ein geistlicher Begleiter den ihm anvertrauten Schützlingen nach dem Mund redet , ist ein sicheres Indiz dafür , daß er nichts zu ihrer Heiligung beiträgt.«
    Kuffel steht auf , tritt an sein Bücherregal , zieht ein schmales , in orangefarbenes Leinen gebundenes Bändchen heraus , schnaubt , liest vor: » Vornehmste Aufgabe des Beichtvaters ist es , dem bußfertigen Sünder bei der gründlichen Erforschung seines Gewissens Hilfestellung zu leisten , indem er ihn durch liebevolle Strenge und regelmäßige Ermahnung vor seinen eigenen Ausflüchten bewahrt. Nur so wird der sündige Mensch lernen , die Stimme Satans , der ihm noch inmitten tiefster Reue und Zerknirschung seine bösen Taten verringern und das Ausmaß seiner Verfehlungen beschönigen will , vom wahrhaftigen Frieden der Seele zu unterscheiden , den die Erfahrung des umfassenden göttlichen Erbarmens im Akt der Lossprechung schenkt …«
    »Gut , diese Priesterleitfäden aus den Fünfzigern sind auch nicht immer das Gelbe vom Ei.«
    »Er bringt den Unterschied sehr treffend und anschaulich auf den Punkt.«
    »Also ob Lenders dir in der Beichte jetzt dies oder das erzählt , tut der Gültigkeit des Sakraments keinen Abbruch. Vermutlich wird er auch in den meisten Fällen die Wandlungsworte korrekt sprechen und damit die Transsubstantiation