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Wir Kinder der Kriegskinder

Wir Kinder der Kriegskinder

Titel: Wir Kinder der Kriegskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Ev Ustorf
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Haushalt mit anzupacken. Die Konflikte zwischen Claudias Vater, der Großmutter und dem neuen Partner dauerten an, bis Claudias Vater – kaum volljährig – Anfang der 1950er Jahre allein in den Westen ging. Wo er dann landete und was er tat, weiß Claudia nicht. Er sprach nie darüber. Erst ab Mitte der 1960er Jahre, als die Eltern heirateten und der Vater eine Stelle als Vollzugsbeamter in der Nähe von Paderborn antrat, ist Claudia wieder über seinen Lebenslauf im Bilde. „Ich bin aber auch nie auf die Idee gekommen, ihn zu fragen“, erklärt sie. „Grundsätzlich konnte man mit ihm nicht reden. Er hat zwar gern politische Monologe gehalten, aber in Bezug auf persönliche Erlebnisse war er völlig stumm. Für mich ist aber offensichtlich, dass der Verlust seines Vaters und die schwierigen Kriegs- und Nachkriegsjahre ihn sehr geprägt haben.“ Vermutlich hatte der Vater nie eine kindgerechte Rolle einnehmen können: Er lernte, seinInnenleben zu ignorieren und blieb auch später für die eigene Familie emotional nicht zugänglich.

    Erst kurz vor seinem Tod im Jahr 2000 habe der Vater erstmals Gefühle zeigen können, berichtet Claudia. Die zweijährige Enkelin, zu der er eine innige Beziehung hatte, lag schwer erkrankt auf der Intensivstation. „Da habe ich meinen Vater zum ersten Mal weinen sehen, er war völlig verzweifelt“, erzählt Claudia. „Ich war einerseits berührt und andererseits sehr sauer. Uns Kindern gegenüber war mein Vater gefühlsmäßig ja immer völlig hilflos gewesen, da gab es überhaupt keine Verständigung. Noch heute finde ich es schrecklich, dass es zwischen mir und meinem Vater keine Nähe gab. Ich hätte es gebraucht, dass er einmal zu mir sagt: ‚Ich habe dich lieb.‘ “
    Obwohl die Mutter insgesamt zugänglicher als der Vater war, hatte auch sie Schwierigkeiten, ihrer Tochter auf direktem Wege Liebe und Zuneigung zu zeigen. Als Claudia ihr eines Tages vorwarf, dass sie das Gefühl habe, es interessiere sie gar nicht, wie es ihr wirklich gehe, war diese allerdings zutiefst schockiert. „Es stimmt natürlich nicht, dass ich meinen Eltern egal war“, reflektiert Claudia heute. „Aber sie konnten es einfach nicht vermitteln. Im Nachhinein würde ich sagen: Sie haben ihre Pflicht erfüllt und das haben sie gut gemacht. Aber es war nicht viel Herz dabei. Es ist nun meine Aufgabe, damit Frieden zu schließen.“

    Inzwischen bemüht Claudia sich intensiv, emotional nachzureifen. Gerade in Partnerschaften beschert ihr die angelernte „Sprachlosigkeit“ immer wieder Probleme. Einige Beziehungen scheiterten bereits, weil Claudia sich einfach nicht äußern konnte. „Ich hätte mehr reden müssen – darüber, was mich stört und vor allem darüber, was mir gut gefällt. Zuneigung zu äußern fiel mir besonders schwer, das hatte ich von zu Hause nicht mitbekommen“, erzählt sie. „Seit Jahren lerne ich nun zu fühlen, wie es mir eigentlich geht. Und das dann auch zu formulieren, nichtunkontrolliert, sondern ruhig und klar. Man tappt ja völlig im Dunkeln. Man hat ja keine Ahnung, wie sich das alles anfühlen könnte.“
    In Partnerschaften hat sie bislang zwar viel über sich erfahren können, zum Nachreifen aber taugten viele Beziehungen nur bedingt: „Die Leute aus meiner Generation haben oft dasselbe Problem. Viele sind genauso sprachlos wie ich. Auch das hat vermutlich mit der Kriegskindheit der Eltern zu tun.“ In den letzten Jahren hat sich Claudia aber zunehmend Partner gesucht, die warm und kommunikativ sind, „ganz anders als ich selbst“. Aber gerade diese Beziehungen sind eine Herausforderung für sie. „Besonders in solchen Partnerschaften werde ich immer wieder mit meiner eigenen Unfähigkeit konfrontiert“, reflektiert sie. „Zuerst habe ich die Schuld bei den anderen gesucht. Aber inzwischen kann ich diese Kritik annehmen und mich dazu äußern, damit umgehen. Das habe ich inzwischen begriffen.“
    In dem Bemühen, die eigenen Gefühle besser spüren und kommunizieren zu können, helfen Claudia vor allem ihr Beruf und ihr Hobby, die Malerei. Als Intensiv-Krankenschwester beobachtet sie häufig, wie hilflos gerade Angehörige aus der Kriegskinder-Generation mit belastenden Situationen umgehen. Zu sehen, wie die Verwandten mit der Krankheit eines geliebten Familienmitglieds nicht zurechtkommen, wie sprachlos viele Eheleute angesichts dessen sind, ist für sie schmerzhaft mitzuerleben – zugleich spürt sie jedoch einen starken inneren Bezug zu diesen

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