Wir Kinder der Kriegskinder
Menschen. Sie versucht, in diesen Situationen stets zu intervenieren. „Es ist dann schön für mich, wenn es mir gelingt, ein Gespräch herzustellen und Hemmschwellen abzubauen“, erzählt sie. „Da kann ich außerhalb meiner Geschichte üben, das betrifft mich nicht persönlich. Insofern ist der Beruf doch sehr nützlich für mich.“ Die Malerei hingegen hilft ihr, einen direkteren Zugang zu ihrem Gefühlsleben zu finden und Verschüttetes wieder zu beleben. Beides sind, so findet Claudia, effektive Strategien der Selbstheilung.Die Verlust- und Mangelerfahrungen der Eltern in den Jahren ihrer Kriegskindheit haben Claudia in ihrer emotionalen Entwicklung stark geprägt. Sie ist trotz dieser für sie schmerzlichen Folgen stolz auf ihre Eltern, denn im Vergleich zu anderen Kriegskindern empfindet Claudia sie als weltoffen, aufgeschlossen und flexibel. Bis zum Tode des Vaters seien beide viel gereist und hätten sich politisch interessiert, ohne dabei festgefahrene Meinungen zu pflegen. „Meine Eltern haben sich auf den Heimatverlust irgendwie eingelassen; sie sagten sich wohl: Jetzt sind wir hier und machen das Beste daraus“, meint Claudia voll Bewunderung. „Der Schmerz war sicherlich da, aber sie konnten ihr Schicksal annehmen, ohne dabei verbittert oder frustriert zu werden. Sie mussten nicht, wie so viele andere, alles entwerten oder ablehnen. In dieser Hinsicht waren sie wirklich fortschrittlich.“
„Mein Vater hat mir immer vermittelt: ‚Mann‘ darf keine Schwächen haben.“
Georg war lange nicht bewusst, wie sehr die Geschichte seiner Eltern in sein Leben hineinwirkte. Erst als bei ihm vor wenigen Jahren eine Depression diagnostiziert wurde, gelang es dem 1960 geborenen Physiotherapeuten, aufgrund seiner emotionalen Probleme einen Bogen zur Vergangenheit seiner Eltern zu schlagen. Beide Eltern sind stark geprägt von ihren Kindheits- und Jugenderfahrungen im Krieg und im Nationalsozialismus: Der Vater, 1927 im Sauerland geboren, von seiner Zeit als jugendlicher Ausbilder beim Reichsarbeitsdienst, die 1932 in Ostpreußen geborene Mutter von ihren Erlebnissen als Flüchtlingskind. Die schwarze Pädagogik und das Trauma der Vertreibung hinterließen deutliche Spuren in Georgs Familie. Im streng durchorganisierten Haushalt war für Gefühlsfragen oder intensiven Austausch nur wenig Raum – es zählten vor allem Werte wie Leistung, Disziplin, Ordnung und Sicherheit. Ängste oder Schwächen durften nicht zugelassen werden.
„Erst als ich in eine Krise geriet, wurde mir bewusst, wie sehr sich das alles in mir niedergeschlagen hatte“, berichtet Georg. „Durch meine Probleme und die Versuche, sie in den Griff zu bekommen, wurde ich konfrontiert mit den Erinnerungen daran, wie ich erzogen wurde, wie in meiner Familie mit Gefühlen umgegangen wurde und welche Wertvorstellungen es gab. Mir fiel auf, wie dürftig die emotionale Versorgung zu Hause gewesen war.“
Die Rollen waren in Georgs Kindheit klar aufgeteilt. Der Vater ging arbeiten und war für Reparaturen in Haushalt und Garten zuständig, die Mutter hütete Heim und Nachwuchs. Die drei Kinder hatten nicht zu stören. „Wenn Vater nach Hause kam, musste überall Ordnung sein und das Essen auf dem Tisch stehen“, erinnert sich Georg. „Und wir Kinder sollten entweder verschwinden oder sehr leise sein. Da blieb kein Raum fürGespräche oder Austausch. Meine Mutter hielt sowieso tendenziell immer den Deckel drauf – für sie hatte vor allem das Haus einen hohen Stellenwert. Das ist ja auch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass sie alles verloren hat.“
Die Mutter wuchs auf einem großen Gutshof in Ostpreußen auf, in einer Familie mit acht Kindern. Als die sowjetischen Armeen im Januar 1945 in Ostpreußen einrückten, bewirtschaftete die Großmutter mit ihren sechs jüngeren Kindern – zwischen sechs und 16 Jahren alt – den großen Gutshof alleine. Der Großvater und älteste Onkel waren eingezogen worden, die älteste Tante bereits vor Kriegsbeginn zum Studium nach Berlin gegangen. Im Vertrauen darauf, dass ihnen schon nichts passieren würde, entschloss sich die Großmutter, mit ihren Kindern zu bleiben. Und im Vergleich zu vielen anderen zurückgebliebenen Deutschen hatte die Familie tatsächlich Glück im Unglück: Der Gutshof wurde von den sowjetischen Soldaten zu einer Kommandozentrale umfunktioniert und Großmutter und Kinder durften weiter dort leben, wenn auch in einem kleinen Kämmerchen.
„Ob es in meiner Familie zu
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