Wir Kinder von Bergen-Belsen
und Papa waren keine Worte nötig, als ihre Blicke sich trafen. Das Unglück in ihren Augen war unerträglich. Papa legte die Arme um Mama. So blieben sie still stehen, der Schmerz über ihre bevorstehende Trennung war ihnen anzusehen. Als Papa sie nach einer ganzen Weile losließ, küsste er uns und sagte zu Max: »Komm mit in unsere Baracke, um unseren Koffer und das Bettzeug zu holen. Ab jetzt wirst du bei Mama schlafen, du kannst dort nicht allein bleiben, wenn ich weg bin. Komm schnell! Sie haben uns eine Stunde gegeben.«
Max und Papa gingen weg, und Mama und ich betraten unsere Baracke, um auf ihre Rückkehr zu warten. Mama teilte Jackie die schlimme Nachricht mit. Ich konnte nicht still sitzen, ich machte den Koffer auf und holte drei Brotrationen heraus, um sie Papa mitzugeben. Ich fand ein einigermaßen sauberes Taschentuch, in das ich das Brot hineinrollte. Deshalb haben sie uns also eine Dreitagesration gegeben, dachte ich. Wie schlau sie sind. Sie haben es genau geplant, diese dreckigen Schweine.
Es dauerte nicht lange, bis Papa und Max zurückkamen. Papa trug den Koffer und Max eine Decke und ein Laken, deren Farbe man nicht mehr erkannte, da sie seit Wochen nicht mehr gewaschen worden waren. Wie üblich, kam alles oben auf unser Bett. Dort öffnete Papa den Koffer und nahm ein Unterhemd, ein Hemd, Unterhosen und zwei Paar Socken heraus, zusammen mit dem Rasierapparat und den zwei Rasierklingen, die er am Tag zuvor gegen die Suppe getauscht hatte.
»Jackie«, sagte Papa, »gib mir deinen kleinen Rucksack. Den kann ich besser tragen als einen fast leeren Koffer.«
Jackie machte seinen Rucksack leer und Papa legte die drei Brotrationen hinein. Mama wollte ihm ein Marmeladenglas mit Zucker geben, aber er lehnte ab.
»Der ist für meine Kinder«, sagte er.
So sehr Mama auch flehte, er wollte das Glas nicht annehmen.
Die Zeit für seinen Abschied rückte näher. Er umarmte uns drei, einen nach dem anderen und sagte, wir sollten lieb sein und auf unsere Mutter aufpassen. Dann verließen wir die Pritsche, um ihn zum Tor zu begleiten. Als wir durch die Baracke gingen, kamen viele Frauen und Männer auf Papa zu und wünschten ihm alles Gute.
Draußen fiel mir auf, wie grau der Himmel war. Überhaupt sah alles grau aus. Am Tor hatten sich ungefähr vierhundert Männer mit ihren Familien versammelt und wir gesellten uns zu ihnen. Auf dem Appellplatz breitete sich Stille aus. Die meisten haben schon ganz für sich geweint, dachte ich. Und im Moment des Abschieds scheint bei ihnen so etwas wie eine innere Stärke zum Vorschein zu kommen. Obwohl alle, die da am Tor standen, unter dem Wissen litten, dass sie ihre Lieben vielleicht nie wiedersehen würden, bemühten sie sich, fröhlich auszusehen, um sich angesichts der unsicheren Zukunft gegenseitig Kraft zu geben.
Wir standen in diesen letzten Momenten dicht beieinander, während die SS-Aufseher die Namen der Männer nannten, die vortreten mussten. Draußen, vor dem Tor, mussten sie sich in Fünferreihen aufstellen. Die ersten Namen wurden in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen. Als die Männer zum Tor kamen, wurde ihnen befohlen, ihr Gepäck hier zurückzulassen.
Als Papa das sah, öffnete er den Rucksack, nahm die Brotrationen heraus und steckte sie in seine Manteltasche. Den Rasierapparat mit den beiden Rasierklingen, die er vorher in ein Stück Papier gewickelt hatte, steckte er in die andere Tasche. Er gab Mama den Beutel zurück und sagte: »Ich werde das Brot essen, und wenn sie mir den Rasierapparat mit den Klingen nicht wegnehmen, kann ich die Sachen gegen Essen eintauschen.«
Inzwischen war die Hälfte der Gruppe bereits abmarschiert. Wenn ihre Männer und Väter weg waren, weinten die Frauen und die Kinder bitterlich. Sie brauchten sich nicht mehr zu verstellen.
Papa wandte sich an Mama und sagte: »Liebste, pass gut auf dich und die Kinder auf, und bleib vor allem am Leben. Ich werde euch bald wiedersehen. Ich bin sicher, dass der Krieg nicht mehr sehr lange dauert, und dann werde ich euch finden.«
Mama konnte nicht sprechen. Ihre Augen brannten vor Tränen. Jackie und Max weinten. Papa küsste Mama und umarmte sie fest, dann küsste er die Jungen und sagte, sie sollten brav zu Mama sein. Zuletzt wandte er sich an mich und schaute mich mit seinen warmen braunen Augen an.
»Hetty«, sagte er, »du bist die Älteste. Pass du für mich auf deine Mutter und die Jungen auf.«
Ich nickte, ich konnte nicht sprechen, und er küsste mich zum
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