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Wir Kinder von Bergen-Belsen

Wir Kinder von Bergen-Belsen

Titel: Wir Kinder von Bergen-Belsen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hetty E. Verolme
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Kleinen zu sorgen.
    Schwester Hermina trug ein kleines Mädchen und ich hielt zwei andere an den Händen, während wir die lange Hauptstraße entlanggingen, die das Lager teilte. Als wir am Vorratslager für Gemüse und an der Schälküche vorbeigekommen waren, wo unsere Mutter früher gearbeitet hatte, bedeutete uns Schwester Hermina, nach links abzubiegen. Dort, hinter der Küche, war ein Tor im Zaun. Als wir näher kamen, öffnete eine kahlköpfige, schrecklich aussehende Frau das Tor und ließ uns durch. Im Vorbeigehen sagte Schwester Hermina etwas auf Polnisch zu ihr. Inzwischen war es immer dunkler geworden und wir beeilten uns. Ich bemerkte ein dunkles, unbewohnt aussehendes Gebäude auf der linken Seite der Straße. Die Tür stand weit offen, aber wir konnten nichts erkennen. Zehn Minuten später gingen wir durch das Tor zu einem anderen Gelände und betraten unsere neue Baracke.
    Schwester Luba und ihre Helferinnen hatten zwei Räume eingerichtet, einen Schlafraum und einen Raum, in dem wir essen konnten. Wie sie das geschafft hatten, wusste ich nicht. Die Betten waren nur zweistöckig und der Raum machte einen sauberen Eindruck. Alle Betten waren für die Nacht schon hergerichtet.
    Die Kinder, die schon früher am Tag angekommen waren, freuten sich, mich zu sehen und zeigten mir mein Bett. Es war eine obere Pritsche in der entfernten linken Ecke des Raums, vor einem Fenster. Eine Doppelreihe stand in der Mitte und eine weitere Reihe entlang der gegenüberliegenden Wand. Ich teilte mein Bett mit Phoebe, einem netten Mädchen, das früher, in Amsterdam, nicht weit von uns gewohnt hatte. Am Ende des Bettes, an der Wand, befanden sich zwei kleine Holzregale mit einem Vorhang davor. Dort verstaute ich meine mageren Besitztümer. Ich hatte noch immer ein Glas mit etwas Zucker und ein bisschen Tee in einer blauen Dose. Beides versteckte ich unter meiner Kleidung.
    Bald nach meiner Ankunft wurden alle ins »Esszimmer« gerufen. Die wenigen Betten in diesem Raum waren an die Wand gerückt worden und eine nackte Glühbirne warf ihr blasses Licht in den Raum. Alle saßen um einen langen Tisch und es war unsere erste Mahlzeit in der neuen Baracke. Jeder bekam ein Stück Brot mit Marmelade und einen Becher schwarzen Tee. Wir brauchten nicht viel Zeit für dieses »Dinner«, dann kehrten alle in den Schlafraum zurück, um ins Bett zu gehen. In jener Nacht schliefen wir sehr fest. Zwei Frauen hielten Wache, und am anderen Ende des Raums brannte ein kleines Licht, solange es dunkel war. Schwester Luba hatte alles gut organisiert und nach ein paar Tagen fühlten wir uns hier alle zu Hause.
    Ich brauchte die Kleinen morgens nicht mehr anzuziehen, das taten die Helferinnen, aber die meisten von uns gingen ohnehin völlig angekleidet ins Bett, denn nichts war wichtiger, als sich warm zu halten. Manchmal wuschen wir uns morgens die Hände und das Gesicht mit einem nassen Tuch. Wir benutzten es alle der Reihe nach, aber das kümmerte niemanden. Falls wir stanken, rochen wir es nicht. Wir waren daran gewöhnt, nehme ich an.
    Wir hatten strenge Anweisungen, das eingezäunte Grundstück nicht zu verlassen. Schwester Luba postierte eine Helferin am Tor, die jeden vom unerlaubten Betreten oder Verlassen abhielt.
    »Frühstück« gab es normalerweise um acht Uhr morgens. Wir saßen um den langen Tisch und bekamen eine halbe Scheibe Brot mit Marmelade und einen Becher Tee oder Wasser. Unsere Essensrationen waren regelmäßiger geworden, seit wir zu diesem Teil des Lagers gehörten und nicht mehr am Rand wohnten. Nach dem Frühstück konnten die Kinder hinausgehen, um auf dem Gelände zu spielen, andere zogen sich in den Schlafraum zurück, denn ins Esszimmer durften wir so lange nicht zurück, bis es sauber gemacht worden war.
    Am Ende des Schlafraums befanden sich ungefähr acht leere Pritschen und dort entstand bald das Hauptquartier für Iesie, Max, Jackie, Loukie, Maurice, Gerrie und mich. Stundenlang saßen wir oben auf den Betten und sprachen über Amsterdam und unsere Familien, aber unser ständiges Thema war Essen. Das nicht enden wollende Verlangen nach gutem, nahrhaftem Essen empfand jeder von uns als ständigen Schmerz.
    Wenn wir oben auf den Pritschen saßen, redete Iesie normalerweise am meisten. Seine Phantasie kannte keine Grenzen und er fand immer willige Zuhörer in uns. So erzählte Iesie von der
    Portugiesischen Synagoge in Amsterdam, die, wie er sagte, als Denkmal unter dem Schutz der Deutschen stand. Ich konnte

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