Wir Kinder von Bergen-Belsen
sprechen.«
Er war ein sehr knochiger, kleingewachsener Mann, dessen stechende Augen sich hinter einer Brille mit dunklen Gläsern versteckten. Seine Haare waren pechschwarz. Er trug keine Mütze, nur eine schwarze Uniform, und in der rechten Hand hielt er
eine kurze Lederpeitsche. Da er saß, waren seine Augen in einer Höhe mit meinen.
Er starrte mich an, dann fragte er mit einer sanften Stimme: »Wie heißt du?«
»Hetty Werkendam, Herr Obersturmführer.«
»Wie heißt du?«, fragte er noch einmal sehr weich. Er starrte mich direkt an. Seine Augen erinnerten mich an eine Schlange, ich fühlte mich alarmiert.
Mit klopfendem Herzen sagte ich wieder: »Hetty Werk...«
»Esther, du meinst Esther, nicht Hetty«, schrie Obersturmführer Fuchs.
Ich taumelte erschrocken rückwärts und brachte nur ein geflüstertes »Ja« heraus: »Ja, Esther.«
»Ich habe gehört, dass du dich nach deinem Vater erkundigt hast«, sagte er.
»Ja, Herr Obersturmführer.«
»Und wie ist der Name deines Vaters?«, fragte er sehr sanft.
Wieder starrte er mir in die Augen, als wollte er mich hypnotisieren.
»Mein Vater heißt Maurice Werkendam.«
»So«, sagte er sanft, »Maurice Werkendam.«
Ich nickte zustimmend, doch dann explodierte Fuchs wütend. »Moses, du meinst Moses, nicht Maurice.«
Ich zitterte vor Schreck, und ohne mich umzudrehen, konnte ich fühlen, dass auch Schwester Luba und die anderen Angst vor dem hatten, was mir geschehen könnte.
Dann beruhigte sich Fuchs wieder und fragte mit seiner sanften Stimme: »Wie alt bist du?«
Ich erinnerte mich zwar an Schwester Lubas Warnung, aber er wusste meinen Geburtsnamen und den Namen meines Vaters, also musste er in den Akten nachgesehen haben. Wenn ich jetzt sagen würde, ich wäre dreizehn, wüsste er sofort, dass ich log.
»Ich bin vierzehn Jahre alt, Herr Obersturmführer«, antwortete ich vor lauter Schreck.
Fuchs schaute die beiden Aufseherinnen an, als er meine Antwort hörte, doch bevor er etwas sagen konnte, trat Schwester Luba vor und stellte sich neben mich.
»Herr Obersturmführer, die Kleine hat eine besondere Erlaubnis vom Kommandanten, um im Kinderhaus zu sein«, sagte sie mit ihrem bezaubernden Lächeln.
Das war neu für Fuchs, und nachdem er sich leise mit den beiden Aufseherinnen beraten hatte, sagte er zu mir, ich könne gehen. Schwester Hella schob mich ins andere Zimmer, denn ich zitterte wie Espenlaub. Ich brach in Tränen aus und presste schutzsuchend mein Gesicht an ihren Körper. Schwester Hella hielt mich fest und versuchte, mich zu beruhigen. Ich hörte, wie Fuchs Schwester Luba etwas zuschrie, konnte aber nicht verstehen, was es war.
Gott sei Dank gingen er und seine beiden Damen bald wieder, doch nicht, ohne Schwester Luba und Schwester Hermina befohlen zu haben, in Zukunft Häftlingskleidung zu tragen. Wenn sie nicht gehorchten, so drohte er, würde er sie höchstpersönlich bestrafen.
Schwester Luba tobte, nachdem sie weg waren.
»Wer hat der SS etwas über das Kinderhaus erzählt?«, fragte sie. »Es muss jemand von uns gewesen sein.«
Doch wer von uns hätte so etwas tun können? Waren es vielleicht die beiden Aufseherinnen gewesen, die uns im Schlafraum besucht hatten? Sie hatten den Eindruck gemacht, als würden sie die Kinder aushorchen. Andererseits gab es viele Leute, die Schwester Luba um ihre Position beneideten. Neid und Hass auf jene, die sich in einer glücklicheren Lage befanden, waren im Lager an der Tagesordnung.
Schwester Luba war sehr aufgeregt, weil sie keine Zivilkleidung mehr tragen durfte, schließlich war sie als Prominente bekannt. Über ihre »Beziehungen« besorgte sie einige Männerjacken aus grau-weiß gestreiftem Stoff und Hella und Maria wurden sofort an die Arbeit geschickt. Maria zerschnitt sorgfältig den Stoff und stellte mit Schwester Hellas Hilfe hervorragend sitzende Sportjacken und je einen engen Rock her. Schwester Luba sah richtig gut darin aus und trug dazu immer noch die gewohnte blaue Bluse. Und als sie das Ergebnis betrachtete, ergab sich Schwester Luba in ihr Schicksal. Einen Tag später, als sie die Sachen trug, sagte ich zu ihr, sie sehe sehr schmuck darin aus. Sie lächelte und gab mir einen Kuss. Von diesem Tag an trug sie dieses Kostüm, als wäre es ein Pariser Modell.
9. Kapitel
Aus irgendwelchen geheimnisvollen Gründen hatte die SS entschieden, alle Leichen auf einer Holzkonstruktion aufschichten zu lassen. Die Insassen des Männerlagers waren zu dieser Arbeit abkommandiert
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