Wir kommen von der Presse
wieder Blüten dran, vielleicht weiße, vielleicht auch rote Blüten, mal sehen. Unser Baum hat in diesem Frühjahr schon dreimal geblüht. Da staunt ihr, was?«
Klaus wußte auch nicht, warum, aber er mußte gerade in diesem Augenblick an Herrn Neubert denken. Der saß im Frühjahr unter seinem Kirschbaum und freute sich über die Blütenpracht und das Gesumme der Bienen. Später hatte er seine Freude an den Kirschen, die er beim Reifen beobachtete. Und im Herbst freute er sich über die buntgefärbten Blätter, die in der schwachen Sonne glänzten. In Herrn Neuberts Garten ging es echt und natürlich zu: das Werden und Wachsen, ja, und auch das Welken, denn es gehörte ebenso dazu. Da gab es nichts Falsches und Künstliches.
Auch Ute betrachtete den Baum schweigend und mißtrauisch.
Schließlich fragte das Mädchen schnippisch: »Gefällt euch etwa unser Baum auch nicht? Nun sagt schon endlich was!«
Klaus zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, murmelte er. »Irgendwie finde ich ihn doof. Wer den zusammengebastelt hat, der hat bestimmt einen Tick.«
»Du!« fauchte ihn das Mädchen wütend an. »Sag das bloß nicht noch einmal! Den Baum hat mein Vati erfunden! Und mein Vati ist ein berühmter Architekt! Damit du’s weißt!«
Kaum hatte das Mädchen das gesagt, rannte es auf den Gehsteig hinaus, wo gerade ein elegantes Auto vorgefahren war. Ein Herr stieg aus. Im nächsten Augenblick redete das Mädchen hastig auf ihn ein und zeigte dabei auf Ute und Klaus.
Die beiden wußten sofort: Das war der Architekt, der Baumensch Meier, der Erfinder des Apfelbaums.
Herr Meier klopfte seiner Tochter beruhigend auf die Schulter. »Nur keine Aufregung, Herzchen«, sagte er lächelnd. »Man muß es ihnen nur richtig und vernünftig erklären.«
Er schritt auf Ute und Klaus zu und gab ihnen freundlich die Hand. »Ihr seid also die Reporter, die mir von der Redaktion der Schülerzeitung angekündigt wurden. Hm, eigentlich hatte ich mit etwas älteren Reportern gerechnet. Na ja, fünf Minuten werde ich für euch erübrigen können.«
Au Backe! Jetzt wird’s brenzlig! dachte Klaus und warf Ute einen vielsagenden Blick zu. Hier lag eine Verwechslung vor. Sollten sie den Irrtum aufklären? Oder sollten sie’s drauf ankommen lassen und tun, als wären sie die Reporter der Schülerzeitung, für die Herr Meier sie hielt? Aber dann konnten sie sich in ein Lügennetz verstricken, aus dem es kaum ein Entrinnen gab.
Doch ehe einer von ihnen den Mund aufmachen konnte, sprach der Architekt schon weiter. »Es ist ausgesprochen begrüßenswert, daß sich auch die Jugend unserer Stadt für meine Arbeit zu interessieren beginnt. Sicherlich möchtet ihr etwas über mein neuestes Bauwerk erfahren...« Und er erzählte ausführlich von der neuen Sparkasse. Zehn Stockwerke hoch sei der Bau bereits. Aber sechs weitere kämen noch darauf. Es würde eines der höchsten, modernsten und schönsten Betongebäude weit und breit mit soundsoviel tausend Quadratmetern und soundsoviel hundert Fenstern, mit Marmortreppen, Aufzügen, künstlicher Belüftung und... »Entschuldigen Sie mal«, unterbrach Klaus Herrn Meier und schaute durch den Sucher seiner Kamera. »Könnten Sie vielleicht zwei Schritte nach links treten? Ich möchte Sie nämlich zusammen mit Ihrem künstlichen Bäumchen da knipsen.«
Der Architekt blickte ihn ungehalten an. Es paßte ihm gar nicht, daß er unterbrochen wurde. Trotzdem kam er der Aufforderung nach und trat zwei Schritte nach links. Als Klaus auf den Auslöser gedrückt hatte, schaute der Architekt nervös auf seine Uhr und sagte dann: »Meine Zeit geht zu Ende. Nur noch ein Wort zu meinem Baum. Ihr scheint ihn komisch zu finden. Aber ihr habt noch nicht über seine Vorteile nachgedacht. Er ist praktisch, macht keinen Schmutz und braucht auch keine Pflege, genausowenig wie mein künstlicher Rasen. Und Kunststoff hält außerdem ewig.«
»Trotzdem«, unterbrach Klaus ihn zum zweitenmal. »Ihr Garten ist kein richtiger Garten. Kunststoff kann doch nicht wachsen!«
»Genau!« sagte Ute vernehmlich. »So was Künstliches ist überhaupt nicht lebendig. Ein richtiger Garten muß duften. Frische Erde und gemähtes Gras riech’ ich für mein Leben gern. Sie nicht?«
Der Architekt war verärgert. »Für dumme Fragen und Diskussionen ist mir meine Zeit zu kostbar. Das Interview ist beendet. Herzchen, wir gehen ins Haus.«
Ute und Klaus blickten den beiden nach und lachten sich dabei halb tot. Herr Meier hatte
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