Wir kommen von der Presse
so was mach’ ich nicht!«
»Du kannst dich anstellen!« Ute ärgerte sich. »Als ob wir bei unseren Interviews schon jemals so dämlich gefragt hätten. Bis jetzt ist uns immer noch das Richtige eingefallen. Und außerdem: wenn wir zu dem Organisten gehen, tun wir damit Herrn Dorsch bestimmt einen großen Gefallen.«
»Wieso?« fragte Klaus verständnislos.
»Überleg doch mal. Wenn wir hinterher zu ihm sagen könnten: Bitte schön, Herr Dorsch, so und so hat der Organist in der Kirche gespielt und das und das hat er uns von sich erzählt. Nun machen Sie mal einen längeren Zeitungsartikel daraus.«
Plötzlich saß Klaus kerzengerade auf der Blumenkübelkante. »Jetzt hat’s bei mir geklingelt! Du hast recht. Wenn das mit dem Orgelspieler hinhaut, muß Herr Dorsch uns einfach den Gefallen tun und bei der Felizitas’ mithelfen.« Er sprang auf und rief: »Komm, Ute, wir gehen gleich!«
Die alte Marienkirche aus grauem Sandstein stand mitten in der Stadt, nur wenige Minuten von dem Zeitungsgebäude entfernt. Und Klaus meinte, wenn Lisa jetzt bei ihnen wäre, könnte sie ihnen bestimmt das genaue Alter der Kirche nennen. »Denk mal mit daran, daß wir sie demnächst fragen«, sagte er zu Ute.
Sie hatten Pech: Das Hauptportal war verschlossen, ebenso die eisenbeschlagene Eichentür an der Straßenseite. Aber Ute wußte, daß auf der Rückseite auch noch ein Eingang war.
Sie liefen um die Kirche herum. Doch auch die hintere Tür war zugesperrt. Horchend legten sie die Köpfe an den Türspalt. Sie konnten deutlich Orgelklänge hören. »So ein Mist!« schimpfte Klaus. »Jetzt ist’s Essig mit unserer Reportage. Der Organist hat sich eingeschlossen. Wahrscheinlich will er beim Üben auf keinen Fall gestört werden.«
»Dabei hätten wir ihn bestimmt nicht gestört«, sagte Ute enttäuscht.
Während sie noch unschlüssig vor dem Tor standen, kam ein kleiner, blonder Junge daher. Er war höchstens sieben Jahre alt.
»Heute könnt ihr da nicht rein«, sagte er. »Da ist wegen Musik geschlossen.«
»Woher weißt du das?« fragte Klaus.
»Weil ich da vorn wohne und weil mein Papa der Küster ist.« Er zeigte auf ein niedriges Haus, das quer zum Kirchturm stand und durch einen schmalen Gang mit dem Turm verbunden war.
»Du mußt uns helfen«, sagte Klaus. »Wir sind von der Zeitung und müssen unbedingt mit dem Orgelspieler sprechen. Kannst du uns nicht durch euer Haus in die Kirche lassen? Hier« — er holte einen Kiefernzapfen aus seiner Hosentasche —, »den kriegst du dafür. Der Zapfen ist von einer Niederhofer Waldkiefer. Wenn du ihn mit Goldfarbe anstreichst, kannst du ihn sogar zu Weihnachten als Schmuck an den Baum hängen.«
Der kleine Junge ließ sich aber nicht so leicht überreden. Erst nach einigen Verhandlungen und nachdem Ute noch einen blanken, wohlgeformten Kieselstein dazugelegt hatte, der ihr zufällig mal in die Tasche geraten war, erklärte er sich dazu bereit, Ute und Klaus heimlich in die Kirche zu schmuggeln.
Um keinen Ärger mit irgendwelchen Erwachsenen zu bekommen, führte er die beiden durch den Kellereingang des Küsterhauses, dann über eine dunkle Treppe und durch den schmalen Gang zum Kirchturm. Mit größter Vorsicht öffnete er eine leicht knarrende Tür. Sie huschten hindurch und standen in der Kirche. Leise schlichen sie zu einer seitlichen Nische, setzten sich auf eine Bank und lauschten dem Orgelspiel.
Plötzlich fiel Ute der Recorder ein. Sie hielt das Mikrophon in die Höhe und schaltete den Apparat ein.
Klaus saß unbeweglich in der Kirchenbank. Noch nie hatte er bei Musik so aufmerksam zugehört. Er hatte sich allerdings auch noch nie so mucksmäuschenstill dabei verhalten müssen. Musik, das waren für ihn flotte Rhythmen aus dem Radio oder von Kassetten gewesen, nichts Besonderes, nur Geräusche aus dem Hintergrund. Bei dieser Musik aber mußte er aufhorchen. Es war ihm zumute, als seien die Orgeltöne lebendig, als wollten sie etwas erzählen. Und er war ein bißchen traurig, weil er ihre Sprache nicht verstand.
Aber diese hohen Töne eben gerade, die so quicklebendig hin und her hüpften, meinten die nicht vielleicht: Na los, kommt doch, springt mit uns und seid fröhlich? Und die tieferen, gemächlicheren Töne, die jetzt darauf antworteten, wollten die etwa sagen: O ja, wir möchten schon springen, doch wir sind nicht so flink wie ihr? Aber dafür sind wir lauter und kraftvoller!?
Und tatsächlich: Klaus hörte, wie sie mit ihrer anschwellenden Kraft die
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