Wir kommen von der Presse
mußte, die sie interviewt hatten: an den Schornsteinfeger, an die beiden Türken, an Herrn Neubert in der Maschinenfabrik. Von ihnen hatte niemand gesagt, daß er bei seiner Arbeit froh sei. Lisa allerdings, die hatte Freude daran. Und die Kindergärtnerin auch. Wahrscheinlich sind es die Musik, die Blumen und die Kinder, die so froh machen, dachte Ute.
Sie kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken. Denn Klaus fragte den Organisten gerade, ob er ihnen nicht noch ein wenig auf der Orgel Vorspielen könne. Und dabei stieß er Ute heimlich an, damit auch sie darum bat.
»Was möchtet ihr hören?« fragte der Organist.
Da sie von Orgelmusik nichts verstanden, konnten sie nur verlegen mit den Schultern zucken.
»Nenn mir doch einfach ein Lied, das ich spielen soll«, forderte der Musiker Ute auf. »Dein Freund hat ja vorhin bereits gleich zwei erwähnt.«
Du liebe Zeit! Wo sollte sie so schnell ein Lied hernehmen? Ihr fiel gerade kein anderes ein als: »Trarira, der Sommer, der ist da«.
»In Ordnung«, sagte Achim Busch lächelnd, griff in die Tasten und spielte ein paar lange, dunkle Akkorde. Es hörte sich an, als ob jemand mühsam und schwerfällig dahertappte, als ob er hin und her wankte. Und dann rauschten die Töne plötzlich wie ein Wasserfall in die Tiefe. Eine Weile rumorten sie vor sich hin, bis daraus langsam eine etwas wehmütige Weise entstand, aus der man das Lied vom Mann, der in den Brunnen gefallen war, bald deutlich heraushören konnte.
Klaus horchte überrascht auf. »Hörst du?« flüsterte er Ute zu. »Das ist mein Lied!«
Die Orgeltöne waren allmählich wieder aus der Brunnentiefe emporgeklettert. Die Musik wurde heller und strahlender. Da! jetzt ertönte auf einmal ein kurzer, fröhlicher Ruf. Wie aus weiter Ferne kam die Antwort. Es war die gleiche Weise: Tra-ri-ra! Hohe Flötenstimmen und tiefe Bässe — von überall her schienen sie es sich gegenseitig zuzurufen. Bis die vielen Rufe sich schließlich zu einem mächtigen Chor zusammenfanden: »Trarira, der Sommer, der ist da!«
»Und das ist mein Lied!« Ute freute sich.
Während Achim Busch den Chor der Orgelpfeifen schließlich langsam ausklingen ließ und das Trarira irgendwo in weiter Ferne verschwand, während er der Orgel zugleich neue Töne entlockte, die zunächst unstet umherschwirrten, als wüßten sie noch nicht, wie sie sich zusammenfinden könnten, nahm Klaus seinen Fotoapparat zur Hand. Er steckte das Blitzlicht auf und blickte durch den Sucher.
Doch bevor er den Organisten richtig im Bild hatte, trat der Küster hinzu. Durch Zeichen gab er Klaus zu verstehen, daß er ihm die Kamera geben und sich mit Ute und seinem Sohn hinter den Organisten stellen solle.
Klaus war einverstanden. Auf diese Weise wurde er endlich einmal zusammen mit Ute fotografiert.
Inzwischen hatte der Orgelspieler die umherspringenden Töne gewissermaßen eingefangen und sie zu ein paar leisen Klängen hingeführt, die schon mehrmals versucht hatten, etwas zu sagen, aber bisher nicht durchgedrungen waren. Doch jetzt hatte man sie anscheinend verstanden, und alle Töne fielen mit ein in die ein wenig traurige Weise.
Auch Klaus summte mit, allerdings recht fröhlich, denn diese Melodie war sein zweites Lied: »Guter Mond, du gehst so stille«.
»Herr Busch!« sagte der Küster begeistert. »Sie haben ja für die beiden Eindringlinge ein richtiges kleines Konzert gegeben. So etwas hab’ ich bisher noch bei keinem Organisten erlebt.«
Noch viel mehr freuten sich natürlich die beiden Reporter. Und zum Dank für die Musik versprachen sie Achim Busch, morgen sofort zur »Allgemeinen Tageszeitung« zu gehen und dafür zu sorgen, daß viele Leute von dem Orgelkonzert erfuhren.
Als der Küster ihnen kurz danach das Kirchentor aufschloß, um sie hinauszulassen, meinte er: »Ich glaube, die Orgelmusik hat euch mehr Freude gemacht, als ihr erwartet hattet. Stimmt’s?«
Ute nickte. »Ich weiß jetzt, daß ich auch ein Instrument lernen möchte. Er braucht ja nicht gleich Orgel zu sein. Klavier war’ auch prima, oder Gitarre, vielleicht auch Blockflöte.«
Klaus sagte nur: »Es war schön hier, ehrlich!«
»Na gut«, meinte der Küster gutmütig. »Dann will ich es euch auch nicht mehr verübeln, daß ihr auf Umwegen hier hereingeschlichen seid. Man kommt ja bekanntlich zu dem, was schön ist, oftmals erst über Umwege.«
Ein Irrtum vom Amt
Am übernächsten Tag war in der »Allgemeinen Tageszeitung« tatsächlich ein längerer Artikel
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