Wir Middle-Ager -Unsere besten Jahre
Formen angenommen hat. Kinder können sich aus Karrieregründen heute weit von den Eltern entfernen, was zu gewaltigen emotionalen Einschnitten führt. Dieses »Karriere-Nomadentum« hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark zugenommen und kennzeichnet vor allem Familien mit einem hohen sozioökonomischen Status. Da Frauen heute im Middle-Age wieder vermehrt einen Beruf ausüben, haben sie weniger Zeit, zu ihren Kindern zu reisen, was den emotionalen Verlust noch verstärkt. Ein Stück weit wurden diese dramatischen Zustände in den letzten paar Jahren verbessert, und zwar durch das Aufkommen moderner Kommunikationstechniken. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob Skype oder Facebook wirklich in der Lage sind, den Stamm wiederzubeleben.
Am anderen Ende des Spektrums haben wir allerdings die Kinder, die aus ökonomischen Gründen wieder ins Elternhaus zurückkehren – die »Bumerangkinder« –, oder diejenigen, die das Elternhaus erst gar nicht verlassen. Bis vor Kurzem lag das weitgehend daran, dass sie keine Arbeit fanden, zuviel Geld für die Ausbildung benötigten oder einfach zu faul waren. Zusätzlich sind heute die hohen Lebenshaltungskosten mit Schuld daran, dass das Nest sich nicht rechtzeitig leert – in vielen Ländern leben junge Erwachsene genau aus diesem Grund noch zuhause, undoft genug reagieren Elteren auf diese Situation, indem sie dem Kind eine eigene Wohnung finanzieren oder es zur Heirat ermutigen, damit zwei zusammengelegte Einkommen dem Paar ermöglichen, die erste Sprosse der Wohlstandsleiter zu erklimmen. Geld allein erklärt das Bumerang-Phänomen aber nicht hinreichend, denn die Familienstruktur als solche spielt da auch mit hinein. So sind es eher die jüngeren Kinder, die dazu neigen, daheim zu bleiben, wohingegen Erstgeborene das so gut wie nie tun – vielleicht ergreifen sie die Flucht vor Eltern und jüngeren Geschwistern. Andererseits kann die Neuverheiratung eines Elternteils für Kinder, die eigentlich gern noch ein Weilchen geblieben wären, auch ein Grund sein, spätestens jetzt das Haus zu verlassen.
Im Grunde zeigen die Reaktionen auf ein Kind, das immer noch zuhause lebt, dass das leere Nest so wichtig wie erstrebenswert ist und allen gut tut. Immer wieder berichten mittel-alterliche Eltern, dass sie sich für ihre unselbständigen, arbeitslosen und unverheirateten Kinder schämen. Im Zusammenhang damit wurde festgestellt, dass Eltern Selbständigkeit und beruflichen Erfolg der Kinder letzten Endes daran messen, wie gut es ihnen selbst geht. Eltern haben darüber hinaus oft Schuldgefühle, weil sie im Hinblick auf die eigene Lebensgestaltung die ständige Anwesenheit der erwachsenen Kinder als Störung empfinden. Zudem existieren Berichte, nach denen ein »volles Nest« durchaus dazu beiträgt, dass Paare im Middle-Age weniger Sex haben. Man kann hier natürlich leicht Witze reißen, aber Tatsache ist, dass mit dem leeren Nest die Zeit gekommen ist, in der Eltern sich wie früher ohne allzu viel Kleidungsballast in der Wohnung aufhalten können und keine Angst haben müssen, dass es Proteste der Kinder hagelt.
Ein weiterer, oft ignorierter Aspekt des leeren Nests ist, dass es meist in den Zeitraum fällt, in dem Middle-Ager zunehmendProbleme mit der Gesundheit ihrer eigenen Eltern haben. Die Welt, in der wir leben, ist eigenartig auch aufgrund des Umstands, dass Altersschwäche nicht mehr automatisch zum Tod führt. Dadurch befinden sich Middle-Ager oft irgendwo in der Mitte – als eine Art »Sandwich-Generation«, die sich sowohl um die am Haus klebenden Kinder als auch um die dahinsiechenden Eltern kümmern muss. Wobei das Problem natürlich das »Siechen« ist, denn Middle-Ager sind eigentlich sehr gut in der Lage, an der Beziehung zu gesunden Eltern zu arbeiten und sie auf eine neue, ebenbürtige Ebene zu bringen. Gesunde Eltern können erwiesenermaßen erhebliche Unterstützung bieten, wohingegen kranke Eltern eine Belastung darstellen, die den Platz der bisherigen, »alten« Belastung durch die Kinder einnehmen kann. Das kann bei einem Sandwich-Middle-Ager, der die Pflege übernimmt, einen Karriereknick und finanzielle Einbußen zur Folge haben. Man muss sich klarmachen, wie unnatürlich diese Situation ist: In der Geschichte der Menschheit haben die Alten sich im Krankheitsfall schnell vom Acker gemacht, und zwar nicht so wie die nestflüchtenden Teenager, sondern unwiderruflich.
Wenngleich die Phase des leeren Nests mit das beständigste Merkmal
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