Wir müssen leider draußen bleiben
die Umverteilung vom Boden an die Spitze der Pyra mide. Konsum wird in dieser Logik regelrecht als Menschenrecht gehandelt, wichtiger noch als der Zugang zu sauberem Wasser, medizinische Versorgung, Ernährungsunabhängigkeit und existenzsichernde Löhne, wie sie nur Regierungen durch entsprechende Regulierung garantieren können. Prahalad bezeichnet die Statusänderung der Armen zu Konsumenten als Teil des »integrativen Kapitalismus«. 380 Damit bewegt er sich ganz in der Spur von Muhammad Yunus. Der empfindet den Kapitalismus als »unvollkommen«. Zu seiner Vervollständigung brauche es Mikrokredite und Sozialunternehmen, »die über die Gewinnmaximierung hinausgehen – ein Unternehmen, das sich ausschließlich der Aufgabe widmet, soziale und Umweltprobleme zu lösen«. 381 Sei der Kapitalismus auf diese Weise erst einmal »vollständig«, würden »alle staatlichen Wohlfahrtsorganisationen nicht mehr gebraucht und könnten abgeschafft werden, und auch die staatliche Sozial hilfe wäre überflüssig. Almosen, Suppenküchen, Lebensmittelmarken, Schulen und Fahrten ins Krankenhaus zum Nulltarif sowie Straßenbettler hätten sich überlebt. Gleiches würde für die staatlichen Arbeitslosen- und Rentenversicherungen gelten«, träumt der Friedensnobelpreisträger, der wie alle Marktverfechter im Staat ein »Monster« sieht. 382
Stellen Sie sich Folgendes vor: Ihr Haus brennt. Doch weil sich der Staat keine Feuerwehr mehr leisten kann, löscht es keiner. Wenn das Haus niedergebrannt ist, verkaufen Ihnen Sales-Ladies eine Decke, damit sie nicht frieren, wenn sie künftig im Freien schlafen müssen. Klingt grauenhaft? Willkommen im »sozialen Kapitalismus«!
Markterschließung unter dem Deckmäntelchen des Sozialen
Shahidur bringt mich auf seinem Motorrad zu zwei lokalen Jo ghurtmanufakturen. Bogra ist Bangladeschs Joghurthauptstadt; hier wird in vielen kleinen und großen Betrieben der Mishti Doi hergestellt, ein karamellbrauner, süßer Joghurt. Er wird in Tontöpfen verschiedener Größen serviert, die man an vielen Straßenständen sieht; manche Männer tragen riesige runde Tabletts voller Joghurttöpfe durch die Straßen. Es heißt, der Mishti Doi sei hier vor 200 Jahren erfunden worden, als der König sich eine Süßspeise gewünscht habe. Noch heute wird diese ausschließlich auf die traditionelle Art und Weise von Hand hergestellt, ohne jegliche chemischen Zusätze. Schweißnasse Männer mit bloßem Oberkörper stehen im heißen Dampf und rühren in riesigen Eisenbottichen, die auf dem Feuer stehen. Die mit Zucker gesüßte Milch und wird so lange aufgekocht, bis sie eine bräunliche Farbe hat. Dann wird sie in Tontöpfe gefüllt und unter einer großen Haube aus Palmenblättern abgestellt, wo der Joghurt seine zuckrig glitzernde Oberfläche bekommt. Der Mishti Doi ist das Wahrzeichen von Bogra: Die Menschen identifizieren sich mit der Süßspeise, die auf keiner Hochzeit, keinem Festival und keiner Familienfeier fehlen darf. Ob sie den Shokti Doi, dessen winzige Becher im Vergleich viel günstiger verkauft werden, als Konkurrenz empfinden, frage ich die Fabrikbesitzer, die mir riesige Töpfe ihres goldbraunen Produkts zum Probieren hinstellen. Sie winken verächtlich ab, doch ich spüre, dass diese Frage an ih rem Stolz kratzt. Der Shokti Doi sei ein maschinell hergestelltes, künstliches Produkt, das hier niemanden interessiere. Manche sagen sogar, sie hätten noch nie davon gehört.
Im Interview habe ich Rhamin Khabirpour von Danone gefragt: »Ist der Shokti Doi günstiger als normaler Joghurt in Bangladesch?« – »Es gibt in Bangladesch sonst keinen Joghurt«, lautete seine höchst erstaunliche Antwort. Auch in den lobenden Medienbeiträgen zu Danone wird nirgends erwähnt, das Bogra die Hauptstadt des traditionellen Joghurts ist. »Es gab noch einen eher zufälligen Grund dafür, dass Bogra eine gute Wahl war: Die Stadt war in Bangladesch als Herkunftsort guten Joghurts bekannt. (…) Somit war es auch unter Marketinggesichtspunkten vernünftig, unsere Fabrik dort anzusie deln«, räumt hingegen Muhammad Yunus ein. 383 Und nicht nur das: Ein Viertel der Einwohner des Bogra-Districts ist unter 15 Jahren alt, die Zielgruppe des Danoneprodukts. Grameen-Danone rechnete damit, dass sich im Umfeld der Produktionsstätte 750 000 potentielle Kunden finden. 384 Jochen Ebert von Danone Grameen in Bangladesch gibt ganz unumwunden zu: »Der Shokti Doi ist sehr stark angelehnt an den Mishti Doi, ein klassisches
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