Wir schaffen es gemeinsam
Mittagessen zu kaufen brauche. Frau Nilsens kleinster Kaktus hat eine große Knospe bekommen, Du weißt, der, der so aussieht wie ein Brötchen mit Rosinen drin. Ich pflege ihn, als wäre er mein einziges, teures Kind. Von Frau Jacobsen von der BahnhofStraße kam eine Karte, sie wollte ihre Blumen zurückhaben. Ich bin damit hingefahren und sie strahlte wie eine Sonne und bezahlte, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich habe laut Verabredung die Hälfte des Geldes für mich behalten.
Sonst ist es hier ziemlich heiß und im Atelier sogar glühend, ich freue mich von ganzem Herzen für Dich, daß Du Dich in den wilden Wogen tummeln kannst.
Ich muß Dir übrigens etwas Komisches erzählen. Du weißt, mein Vater ist seit einem Jahr wieder verheiratet. Ich habe einen Bruder bekommen! Leider kann ich keine nennenswerte Begeisterung für die Angelegenheit aufbringen. Erhielt eine Karte von meinem Vater mit der Mitteilung, und ich habe mich wirklich dazu aufgeschwungen, eine Karte zu schreiben mit „herzlichen Glückwunsch“ drauf. Zu mehr langte es aber nicht. Ich erhebe auf das bestimmteste Einspruch gegen die Theorie, daß Blut dicker als Wasser sei. Kein Mensch kann wohl mehr allein stehen und verwaister sein als ich, obwohl ich zwei Garnituren Eltern nebst einem Bruder besitze. Ich fühle mich unendlich viel näher zum Beispiel mit Dir verbunden als mit einem einzigen meiner sogenannten nahen Verwandten. Das letzte, was ich von meinem Vater hörte, war die Mitteilung vor einem Jahr, daß er am Vierten des nächsten Monats ein Fräulein Marianne Melling heirate – und von meinem Mamachen in Paris höre ich, wenn es hochkommt, alle zwei Monate mal oder so. Eltern sind zuweilen sonderbare Wesen, weißt Du. Möglich, daß sich meine Eltern deswegen nichts aus mir machen, weil die Ehe so ganz und gar mißglückt ist. Jeder sieht wohl bei mir nur die Fehler die ich vom anderen geerbt habe.
Na ja, das wäre das, Du wirst begreifen, daß ich ziemlich allein bin, wenn ich mich schon mal hinsetze, um Dir im Brief intimere Dinge anzuvertrauen. Laß es Dir nun gutgehen, Wipps, und solltest Du mal fünf Minuten Ruhe haben, wenn die Gören schlafen und die bezaubernden Jünglinge im Hotel anderweitig in Anspruch genommen sind, dann kannst Du gerne ein paar Zeilen hinkritzeln für
Deine alte Yvonne.
Ich blieb mit Yvonnes Brief in der Hand sitzen, las die zweite Hälfte wieder und wieder. Es kam selten vor, daß sie von sich redete. Wir waren so nah befreundet, aber uns irgendwelche Geheimnisse anzuvertrauen, das war nicht unsere Art. Ich schätzte es sehr, wenn Yvonne sich hin und wieder einmal mir gegenüber offener aussprach. Und gerade jetzt hatte sie bestimmt Kummer. Ich merkte es an so vielem. Es war damals sicher nicht so leicht für sie gewesen, als sie sich mit ihrem Vater überwarf und beinahe auch mit der Mutter, aber allmählich war die Wunde wohl verheilt, und nun kam dieser kleine Halbbruder, und all das, was sie endlich hinter sich gelassen hatte, wurde ihr nun von neuem gegenwärtig. Yvonne hatte ihren Vater seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen, höchstens ein paarmal auf der Straße. Er wohnte ein Stück außerhalb der Stadt und fuhr täglich mit dem Wagen hinein. Es lag also in der Natur der Sache, daß seine und Yvonnes Wege sich nicht kreuzten.
Yvonne hatte jetzt jemanden nötig, der gut zu ihr war. Ich merkte es unter anderem daran, daß sie anfing, mich bei meinem Spitznamen aus meiner Kindheit zu nennen. In der Schule hatten mich die Freundinnen immer „Wipps“ genannt.
Liebe Yvonne. Ich hatte sie wahnsinnig gern.
Als die Kinder abends ins Bett gebracht waren, setzte ich mich hin und schrieb.
Liebste Yvonne!
Es freut mich ganz ungemein, daß es den Katzen und den Pflanzen gutgeht. Grüße Mouche. Meinen Segen hast Du, falls Du Ernst machst und sie unterschlägst.
Ich gratuliere zum Brüderchen. Ich hoffe für ihn, daß er nach achtzehn Jahren nicht etwa erklärt, Maler werden zu wollen.
O danke, mit mir geht alles ausgezeichnet. Ich bin dick befreundet mit den Gören, und das ist ja die Hauptsache. Frau Wimmer ist reizend und ist nicht schwierig. Sie überläßt mir die Kleinen ganz allein und mischt sich nicht in meine Erziehungsmaßnahmen. Es ging neulich Abend mal sogar gut, als ich auf Peterchen ärgerlich war und ihm einen Klaps auf sein bloßes Hinterteil gab, daß es knallte. (Er hatte, trotz strengstem Verbot, mit allen Kämmen, Bürsten, Tuben usw. die Frau Wimmer gehörten,
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