Wir schaffen es gemeinsam
müßte, so würde ich niemandem raten, in meine Nähe zu kommen. Und ich lächelte vor mich hin, wenn ich daran dachte, wie schön Yvonne und ich es uns machen würden, wenn die Gäste raus waren – oh, wie wir schwelgen wollten, namentlich an den Tagen, wenn die Diätliste Steak oder Schnitzel vorschrieb!
Während ich überlegte und plante, spielte ich mit Ginchen, ging mit Peterchen ins Wasser und leistete Frau Wimmer Gesellschaft.
Sie hatte oftmals Herzklopfen und Kopfweh und war offensichtlich sehr froh, alle Anstrengungen mit den Kindern los zu sein.
Ginchen und Peterchen wuchsen mir immer mehr ans Herz. In den letzten Tagen war das Wetter nicht so gut gewesen, und wir hatten ziemlich viel drinnen sitzen müssen. Es ging ein kräftiger Wind, und der Strand lag öde und verlassen da. In der Kaminstube spielte ich mit den Kindern das Kugelspiel, und es machte mir Spaß, ihre Charaktere zu beobachten. Ginchen war unwahrscheinlich gutmütig. Wenn sie zweimal hintereinander gewann, wollte sie immer den Gewinn – die Apfelsine oder das Stück Schokolade – mit denen, die nichts gewonnen hatten, teilen. Aber Peterchen war gerecht und sehr streng. Kein Gefackel hier, danke! Wenn Ginchen die Apfelsine gewonnen hatte, dann sollte sie sie auch selber behalten. Peterchen war nüchtern und gerecht und maulte nie, wenn er verlor.
Im Geiste stellte ich mir Peterchen in zehn, zwölf Jahren vor. Er würde so ein Junge werden, der überall beliebt war, beim Sport, beim Spiel und bei der Arbeit, weil er „sporty“ war. Wenn nur die Eltern ihn bloß richtig behandeln würden, wenn sie ihn nie wegen seiner Zornesausbrüche bestrafen würden – denn er hatte nie welche, ohne daß nicht ein Grund dafür vorhanden war- und wenn sie bloß nicht aus lauter Unverstand Ginchens grenzenlose Gutmütigkeit und ihr Zutrauen zunichte machen wollten!
Ich sprach mal vorsichtig mit Frau Wimmer darüber, und sie hörte mir zu und zeigte auch Interesse. „Ja, die Kinder lieben Sie, Fräulein Grundt“, sagte sie freundlich, aber mir war trotzdem so, als könnte ich einen kleinen Unterton von Eifersucht heraushören. „Sie werden furchtbar traurig sein, wenn Sie uns verlassen.“
„Ich würde Ginchen und Peterchen gern ab und zu besuchen, wenn ich darf, sagte ich. Das war auch meine ehrliche Meinung. Ich hatte nie geglaubt, daß man anderer Leute Kinder so liebgewinnen könnte.“
In der Nacht drückte mich ein Alptraum. Irgend etwas war im Begriff, mich zu erwürgen. Ich versuchte zu schreien, konnte aber nicht einen Ton hervorbringen. Dann schrie irgend jemand anderes. Immer wilder und wilder. Ich wachte auf. Die Schreie hörten nicht auf. Es war erstickend heiß, und es roch nach Rauch.
Dann war ich ganz wach.
Feuer! Es brannte! Das Haus brannte!
Ich taumelte zur Tür und stieß sie auf, warf sie aber schleunigst wieder zu. Rauch und Flammen schlugen mir entgegen – unmöglich, hier über den Boden zur Treppe zu gelangen.
Wenn ich heute daran zurückdenke, steht das Geschehen als etwas Seltsames, Unwirkliches vor mir. Es ist fast, als wäre ich das gar nicht gewesen, die das erlebt hatte, sondern jemand anderes. Es ist genauso, als ob ich an einen spannenden Film zurückdenke.
Ich erinnere mich noch, daß Ginchen sagte, als alles vorbei war: „Aber hast du nicht schrecklich Angst gehabt, Tante Grundt?“
Und ob ich Angst gehabt habe!
Ein Entsetzen so namenlos, so wild, so verzweifelt – ein Entsetzen, für das es keine Worte gibt – ein Entsetzen, wie man es sich unter keinen Umständen vorstellen kann, wenn man nicht selbst einmal in wahrer, richtiger Lebensgefahr gewesen ist und sekundenlang alles auf dem Spiel stand. Aber eines habe ich erfahren dürfen: Es gibt etwas, das ist stärker als das Entsetzen: der Selbsterhaltungstrieb! Der trieb mich zum Handeln, der erteilte mir seine Befehle, und der spornte jede Hirnzelle in mir an, schneller und intensiver zu handeln als je zuvor.
Eine Feuerleiter war nicht da.
Onkel Mathias hatte zu Hause mit uns Feuerwehrübungen abgehalten. Und mein Hirn, das so wach und so kristallklar war wie niemals früher oder später, faßte einen klaren Gedanken: Laken! Vier Streifen von einem Laken.
Ich riß die Nagelschere aus dem Kasten und die Laken aus dem Bett, durchschnitt den Saum und zerriß die Wäsche in Streifen. Riß und knotete, riß und knotete. Ich glaube, ich spürte in den Augenblicken die Angst gar nicht. Das hat nichts mit Mut zu tun. Nichts mit Selbstbeherrschung, mit
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