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Wir sehen uns in Paris

Wir sehen uns in Paris

Titel: Wir sehen uns in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kolloch Elisabeth Zöller
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ist aufgeschürft, aber Hannah springt sofort wieder auf und hechtet dem Kerl hinterher. Wieder bekommt sie die Tasche zu fassen.
    »Gib die sofort her!«, schreit sie und zerrt an dem Gurt.
    Sie kann sein Gesicht vor sich sehen. Dunkle Augen, dichte Wimpern. Sommersprossen und dunkelbraune, strubbelige Haare unter einer roten Baseballkappe. Er hat eine Narbe über der linken Augenbraue und sieht unerschrocken aus, zu allem bereit.
    Hannah zögert einen kurzen Augenblick und das nutzt der Junge aus. Er schubst sie und reißt ihr im selben Moment die Tasche aus den Händen.
    » Au revoir, ma chérie! «, ruft er grinsend. Und weg ist er.
    Bis Hannah wieder ganz klar im Kopf ist, dauert es einen winzigen Augenblick zu lange. Bestimmt nur eine Sekunde, dann rennt auch sie wieder los. Aber jetzt hat der andere einen ordentlichen Vorsprung. Er läuft an der nächsten U-Bahn-Station vorbei … verschwindet hinter einer Touristengruppe. Da ist er wieder! Hannah holt noch einmal alles aus ihren Beinen heraus.
    »Bleib stehen!«, brüllt sie, aber es nützt nichts. Der Junge schlägt Haken, schlängelt sich zwischen den Fußgängern auf dem Bürgersteig durch.
    Die Passanten drehen sich um, schütteln den Kopf oder schimpfen, wenn sie angerempelt werden. Aber niemand greift ein. Sie nehmen die Verfolgungsjagd nicht ernst, halten sie für eine kindische Spielerei.
    Kaum taucht der Junge in Hannahs Blickfeld auf, ist er auch schon wieder weg. Langsam beginnt ihre Lunge zu schmerzen. Das Blut steigt ihr in den Kopf. Kein Wunder bei dieser Affenhitze. Ihr Mund wird trocken und sie verflucht den großen Eisbecher in ihrem Bauch, mit dem sie jetzt laufen muss.
    Bei Rot rennt der Junge über die Nürnberger Straße. Die Autos hupen, doch er dreht sich nur einmal um sich selbst und rennt weiter. Taucht unter im Getümmel vorm Kaufhaus des Westens . Vor der U-Bahn-Station Wittenbergplatz sieht Hannah wieder seine rote Kappe. Schneller, Hannah! , feuert sie sich an. Schon steht sie in der Eingangshalle des U-Bahnhofs.
    Wo ist er hin? Für ein paar Atemzüge schaut Hannah hilflos um sich. Da! Er läuft eine Treppe runter, nimmt drei Stufen auf einmal. Klarer Fall, der ist schon öfter so gerannt.
    Doch womit Hannah in diesem Moment niemals gerechnet hätte, ist Isabella. Isabella, die doch im ersten Augenblick wie erstarrt stehen geblieben war, jagt plötzlich hinter dem Jungen die Treppen hinunter.
    Unten am Treppenabsatz sieht Hannah, wie er, kurz be vor sich die Türen schließen, in die U1 Richtung Warschauer Straße schlüpft. Mit ihren Blicken zerreißt sie ihn in der Luft. Aber das nützt nichts. Sie hätte ihn treten sollen, als sie ihn fast erwischt hatte. Dahin, wo es richtig wehtut. Der Kerl hat sie überrascht. Seine Überlegenheit hat sie hilflos gemacht.
    Hat Isabella die Bahn noch erwischt?
    Hannah lässt keuchend den Blick über den Bahnsteig wandern. Aber nirgendwo ist Isabellas dunkelbraune Mähne zu erkennen. Hannah ist außer Atem, doch sie läuft trotzdem die Treppe hinunter und geht noch einmal bis zum Ende des Bahnsteigs. Isabella ist nicht da. Die Lichter des Zuges sind längst verschwunden. Es rattert hohl in dem Tunnel. An der Bahnsteigkante stinkt es schmierig nach verbranntem Gummi und nach Staub. Hannah starrt in die gähnende Dunkelheit, in der die Bahn mit Isabella und dem Taschendieb verschwunden ist.
    Was kann sie jetzt noch tun? Der Junge ist weg. Isabella ebenfalls.
    Hannahs Herzschlag beruhigt sich langsam und sie blickt auf die Uhr: 14:30. Wie ein Tiger im Käfig läuft sie den Bahnsteig auf und ab. Soll sie zur Polizei gehen? Einen kurzen Moment spielt sie mit dem Gedanken. Immerhin ist das Diebstahl. Aber was genau soll sie sagen? »Dieb und Opfer sitzen in der U1. Keine Ahnung, an welcher Haltestelle sie aussteigen werden. Sucht mal die ganze Stadt ab!«
    Keine gute Idee. Nein, sie wird ins Literaturcafé gehen und dort auf Isabella warten. Früher oder später muss sie in der Fasanenstraße wieder aufkreuzen.

Der Typ springt in den ersten Wagen ganz vorne. Isabella schafft es gerade noch, in den letzten zu schlüpfen. »So ein Mist«, flucht sie und ringt nach Atem.
    Die Bahn ist total voll. Die Menge drängt und schiebt sie immer tiefer in den Wagen hinein und weg von der Tür. Sie kommt nicht durch. Sie kommt nicht voran, aber auch nicht mehr zurück. Isabella würde sich wenigstens gern vornüberbeugen und die Hände auf die Knie stützen, um tief durchzuatmen. Aber sie hat keinen Platz,

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