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Wir sehen uns in Paris

Wir sehen uns in Paris

Titel: Wir sehen uns in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Kolloch Elisabeth Zöller
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ein. Ein kurzer Halt. John steckt seinen Kopf aus der Tür, aber er sieht das Mädchen nicht. Das Gedränge an der Bahnsteigkante ist zu groß. Vielleicht ist er sie ja los.
    Noch ein schneller Blick hinaus aus der Bahn. Hat sie tatsächlich aufgegeben? John lehnt sich an eine Haltestange und atmet tief aus. Jetzt heißt es wieder abwarten.
    Schließlich hält der Zug an der Warschauer Straße. Endstation! John steigt aus und schlendert den Bahnsteig hinunter. Ist er wirklich allein? Er blickt über die Schulter zurück und erschrickt. Da ist sie, da ist die kleine Zecke wieder! Es ist also noch nicht vorbei.
    John rennt sofort los.

Zwei Stufen auf einmal nehmend, jagt Isabella die Rolltreppe hoch, schiebt sich zwischen Passanten und deren Gepäck hindurch. Oben trifft sie die Sonne wie ein Schlag! Jetzt bloß nicht zögern, ihn ja nicht aus den Augen verlieren. Sie hat keine Idee, wo genau sie eigentlich ist. Friedrichshain kennt sie nicht besonders gut, alles ist fremd. Sie hat keinen Blick für die schönen alten Häuser, für die Fabrikgebäude aus roten Backsteinen. Sie ist hier, um etwas zurückzuholen, das ihr gehört.
    Da! Einen kurzen Moment ist er direkt vor ihr, zum Greifen nah.
    Und dann sieht sie nur noch, wie er unter einer Leiter durchschlüpft und hinter der Plane eines Baugerüsts verschwindet. Mist! Sie läuft schnell in seine Richtung und will gerade auch unter der Plane durchtauchen, als sie ihn etwas weiter die Straße runter wieder entdeckt. Das war wohl eine Abkürzung.
    Der Kerl trägt ihre Tasche so selbstverständlich über der Schulter, als sei sie an ihm festgewachsen. Er scheint richtig gute Laune zu haben. Das ist doch nicht zu fassen! Isabella kocht vor Wut. Ohne nach rechts oder links zu schauen, rennt er über das Kopfsteinpflaster, zögert nicht, setzt einen Schritt vor den anderen. Wie einer, der denkt, dass er alles richtig gemacht hat.
    Dann rennt er schnurstracks auf einen Supermarkt zu. Doch als er gerade hineinwill, dreht er ab und spurtet in die entgegengesetzte Richtung. Sieht aus, als hätte er jemanden durchs Schaufenster erblickt, dem er nicht begegnen will.
    Kein Wunder, denkt Isabella. Der hat doch sicherlich noch mehr Dreck am Stecken.
    Der Kerl jagt jetzt quer über die Straße, dann durch eine kleine leere Grünanlage. Isabella hat Mühe, ihm zu folgen. Ihr Mund ist wie ausgetrocknet. Sie hat furchtbaren Durst, und Hose und T-Shirt scheinen am Körper zu kleben. Blitzschnell entwischt der Junge durch ein Loch im Zaun.
    Isabella holt auf und steht einige Augenblicke später vor dem Loch. Da fährt in rasendem Tempo eine S-Bahn an ihr vorbei. Verflixt! Sie hat Herzklopfen und eine große Portion Angst, die sie zögern lässt, hinterherzuklettern. Unbefugtes Betreten der Bahngleise verboten. Doch es nützt nichts. Sie muss ihm folgen.
    Dieser Junge spielt mit ihr. Da ist Isabella sich sicher. Er lässt sie nur so nah heran, wie er will. Er bestimmt alles. Sie seufzt.
    Aber warte nur, droht sie in Gedanken. Ich, Isabella Morgenstern, habe beschlossen, mich nicht mehr herumschubsen zu lassen.
    Das ist jetzt klar. Und das hier ist kein Kinderspiel. Sie wird nicht heulend nach Hause rennen und sich beklagen. Sie will nach Paris! Und zwar ganz allein.
    Vorsichtig klettert sie durch das Loch im Zaun und steht in einer steinigen staubigen Geröllwüste. Wieder saust eine S-Bahn heran. Isabella kauert sich hinter einen Busch. Als der Zug weg ist, sieht sie sich um. Sie blickt auf ein Gewirr von Schienen und Oberleitungen. Das Gelände ist eingezäunt. Überall Rampen, verrostete Tore, niedrige Gebäude, keins davon ohne zerschlagenes Fensterglas und Graffiti.
    Da, ein Geräusch. Es hört sich an wie ein Mädchenlachen. Irgendwo hier müssen also Menschen sein. Und dort findet sie hoffentlich auch den Taschendieb.
    Isabella kriecht zwischen den Waggons hindurch und steht wieder in dichtem Gebüsch. Piksig und stachelig reiben sich die Äste an ihren Beinen. Zwischen dem Gestrüpp erkennt Isabella alte Bahngleise, von Gras überwuchert. Halb verfallen, bemoost und heruntergekommen reckt sich ein altes Bahnwärterhäuschen aus roten Backsteinen hoch. Im Dach klafft ein Loch. Ist er da hineingeschlüpft? Versteckt er sich etwa in dieser Bruchbude?
    Isabella kriecht auf das Haus zu. Ihre Jeans kann sie vergessen. Die steht vor Dreck. Sie schleicht, bis sie nah dran ist, duckt sich unter einem Fenster, hört Stimmen von drinnen und wartet ab. Dann zieht sie sich langsam zu dem

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