Wir sehen uns in Paris
steht nur eingequetscht in der Menge und bekommt kaum Luft. In ihren Ohren saust das Blut und der Schweiß rinnt ihr den Rücken hinunter.
Ruckelnd und quietschend fährt die U-Bahn an. Eingekeilt in eine Gruppe von Schülern, versucht Isabella, sich irgendwo festzuhalten. Autsch! Ein Rucksack bohrt sich in ihre Rippen, doch der Typ, dem das Ding gehört, merkt nichts. Isabella schiebt ihn ein Stück zur Seite und erntet dafür einen bösen Blick. Doch das ist ihr im Moment völlig egal. Sie muss unbedingt einen Platz an der Tür ergattern, damit sie sehen kann, wann der Mistkerl aussteigt. Außerdem spürt sie, wie ihr übel wird. Die heiße schlechte Luft, die Enge, das künstliche Licht und das Eis schlagen ihr auf den Magen. Nicht jetzt! , schimpft Isabella in Gedanken mit sich selbst. Sie muss unbedingt ihre Fahrkarte zurückhaben und ihr Geld.
Ob Hannah es auch in die Bahn geschafft hat? Sie könnte ihre Freundin jetzt echt gut brauchen. Isabella versucht, sich in Richtung Tür zu drängeln. Doch es ist kein Durchkommen. Gleichzeitig hält sie Ausschau nach Hannah. Aber Hannah ist nicht da. Vielleicht ist sie ja in einem der anderen Waggons?
»Mensch, pass doch auf, wo du hintrittst.« Eine ältere Dame, die sich schon die ganze Zeit über die unerzogene Jugend aufregt, weil niemand ihr einen Platz anbietet, versperrt Isabella den Weg. Breit und schwitzend steht sie vor ihr und verströmt einen unangenehmen Geruch: eine Mischung aus billigem Parfüm und Knoblauch. Isabella spürt, wie sie langsam wütend und auch panisch wird.
»Entschuldigung, aber ich muss hier aussteigen«, gibt sie patzig zurück und quetscht sich an der Frau vorbei, nur um vor dem nächsten Hindernis zu stehen: einem Kinderwagen … Die U-Bahn rattert durch einen schmalen Tunnel. Die gefliesten schmutzigen Wände sausen vorbei. Eine sonore Stimme vom Band kündigt den nächsten Halt an. Isabella schafft es endlich bis zur Tür und sieht mit Entsetzen den vollen Bahnsteig. Menschen drücken und pressen sich aus der Bahn, andere schieben sich hinein. Du meine Güte! Sie darf den Dieb auf keinen Fall entwischen lassen! Als die Türen sich mit einem Zischen öffnen, springt sie auf den Bahnsteig und läuft, so schnell es geht, einen Waggon weiter nach vorn. Bevor sie einsteigt, wirft sie noch einen prüfenden Blick auf die Bahnsteigkante. Nichts. Keine rote Kappe. Er ist nicht ausgestiegen. Da ist sie sich fast sicher.
In letzter Sekunde schafft sie es wieder hinein. Noch einmal das gleiche Spiel. Es ist voll, aber jetzt kann Isabella direkt an der Tür stehen bleiben. Auch in diesem Waggon entdeckt sie weder Hannah noch den Jungen. Weiter geht die unruhige Fahrt. Der Wagen ruckelt. Aber inzwischen hat Isabella sich gefangen.
Sie malt sich aus, wie der Junge in einem der vorderen Waggons sitzt. Einfach so, als sei nichts, hält er ihre Tasche unter den Arm geklemmt. Ihre Tasche! Er schaut aus dem Fenster, reckt sich entspannt … Isabella könnte platzen vor Wut. Das Herz schlägt ihr dabei bis zum Hals, und sie stellt sich vor, wie sie ihn packt und so richtig durchschüttelt, bis er von seinem Platz plumpst und ihr die Tasche freiwillig zurückgibt.
Ganz ruhig, Isabella , ermahnt sie sich selbst. Ganz ruhig, du kriegst deine Chance. Du erwischst diesen Kerl.
Der Zug schiebt sich weiter durch enge Tunnel und vollgestopfte Bahnsteige. Isabella schafft es noch einige Wagen weiter nach vorn. Während der Fahrt drängelt sie sich durch die vollgestopften Abteile und hält nach Hannah oder dem Dieb Ausschau. Dadurch gelingt es ihr aber nicht immer, rechtzeitig auszusteigen. Bei ein, zwei Stationen muss sie in ihrem ursprünglichen Waggon stehen bleiben und kann nur durch die Scheibe nach draußen starren.
Langsam wird Isabella unsicher. Was, wenn der Typ doch zwischenzeitlich ausgestiegen ist? Der ist doch ein Profi. Der weiß, wie man sich heimlich verdrückt. Auf den Bildschirmen, die den Streckenverlauf der U-Bahn-Linie anzeigen, sieht sie, dass der nächste Halt die Endstation ist. Dann wird es sich zeigen, ob sie ihn und ihre Tasche endgültig verloren hat. Und wenn ja? Sie ballt die Fäuste. Dann ist sie auch verloren. Dann ist ihr ganzer schöner Plan hin.
»Warschauer Straße«, unterbricht die Ansage Isabellas Gedanken. »Endstation. Ausstieg in Fahrtrichtung links.« Diesmal steht Isabella direkt an den Türen. Sie drückt den Knopf und zischend öffnen sie sich. Mit einem Satz springt sie auf den Bahnsteig. Und tatsächlich:
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