Wir sehen uns in Paris
ernster.
Jeder versteht, was das bedeutet. Opa nimmt Astrid schließlich den Hörer aus der Hand und spricht in die Muschel. Im selben Moment piepst ihr Smartphone.
»Eine Mail«, ruft Astrid. »Von Isabella!« Sie liest vor: » Liebe Mama, sei bitte nicht böse. Ich bin gerade in Frankfurt. Mir geht es gut. Mein Handy ist weg. Eine Fahrkarte habe ich auch. Ich fahre jetzt nach Saarbrücken und dann nach Paris. «
Jetzt vibriert Hannahs Handy. »Noch eine Mail von Isabella.
Liebe Hannah, bin gerade in Frankfurt angekommen. Hoffentlich hast du keinen Ärger. Stell dir vor, ich bin mit John unterwegs. Der ist wirklich nett. Du wirst es nicht glauben, aber im Zug habe ich den merkwürdigen Typen aus dem Café getroffen. Den mit den grünen Socken. Entschuldigt bitte für das ganze Chaos.«
Astrid ist wie vom Donner gerührt und ihre Hand klatscht auf den Tisch. »Das halte ich nicht mehr aus. Das halte ich einfach nicht aus. Saarbrücken, egal, wie weit das ist. Da fahre ich jetzt sofort hin. Egal, was ihr davon haltet. Ich muss endlich Klarheit haben.«
Opa Morgenstern hat inzwischen das Telefonat mit Clara beendet und versucht, seine Tochter zu bremsen. »Astrid, das Auto ist in der Werkstatt. Du kannst nicht einfach losfahren.«
»Dann nehme ich einen der Leichenwagen.«
Hannah weiß sofort, dass Astrid Morgenstern es ernst meint. Sie hat genau den entschlossenen Gesichtsausdruck, den Isabella am Donnerstag im Literaturcafé hatte. Da sind sich Mutter und Tochter sehr ähnlich.
»Dann fahre ich mit«, sagt Hannah ebenso entschlossen. Und Astrid nickt. Hannah überlegt kurz. »Aber vorher müssen wir noch bei mir vorbei. Ich packe nur ein paar Sachen ein. Und muss noch telefonieren. Ich glaube, ich kenne jemanden, der uns helfen kann.«
»Ist das nicht schön«, sagt John, schnalzt mit der Zunge und lächelt in die Sonne. »Brötchen, Kaffee, Schokolade. Weit und breit kein Druck. Zum Ausflippen, oder?«
»Das Beste sind die bezahlten Fahrkarten. Ziemliche Verbesserung für uns beide. Du wirst sehen, wie entspannt das Reisen mit der Bahn sein kann«, ergänzt Isabella. Sie blickt sich um. Endlich scheint sich alles zum Guten zu wenden. Sie sitzen in einem kleinen Café und irgendwie hat sie das Gefühl, endlich wieder zu Atem zu kommen.
»Erzähl mir von deinen Plänen.« Isabella streicht sich eine widerspenstige Haarsträhne aus dem Gesicht und mustert John dann aufmerksam. »Ich meine nicht, was du heute vorhast, sondern überhaupt.«
»Nun, ich werde ein zweiter Albert Schweitzer, werde Arzt, gehe nach Afrika und rette die Welt. Darum lerne ich auch Fremdsprachen«, antwortet John und verzieht dabei keine Miene. Isabella sieht ihn entgeistert an, bis er sich an die Stirn tippt und beide loslachen.
»Die Wahrheit ist: Ich versuche durchzukommen. Irgendwie. Ich will das Beste aus allem machen und jede Chance nutzen, die sich mir bietet. Ein heimlicher Traum von mir ist aber doch, Medizin zu studieren. Das weiß ich, seitdem meine Mutter krank war.« Ein Anflug von Röte überzieht sein Gesicht.
»Allzu viele Chancen hattest du bis heute ja wohl nicht«, meint Isabella nachdenklich, und sie weiß nicht genau, warum ihr ausgerechnet in diesem Augenblick das freie Dachbodenzimmer zu Hause in der Fasanenstraße einfällt …
»Ich weiß nicht. Vielleicht kriege ich das mit meinen Pflegeeltern ja doch irgendwie wieder hin. Aber weißt du, wie sich das anfühlt, nicht erwünscht zu sein? Das ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Ich war deswegen ja sogar beim Jugendamt. Doch die glauben mir auch nicht. Sie sind da gewesen. Aber in dem Augenblick waren meine Pflegeeltern natürlich freundlich und nett, auch zu mir.« John seufzt.
»Und ich kann mich nur bis zu einem gewissen Grad verbiegen. Irgendwann ist Schluss, sonst zerbreche ich. Vielleicht kriegt mein Vater sein Leben wieder in den Griff. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. So viele Fragen. So viele kleine, winzige, große Hoffnungen. Ich kann dir deine Frage nicht beantworten. Ich weiß nur, dass ich von der Straße weg muss, dass ich endlich wieder regelmäßig zur Schule gehen will. Ich war ein guter Schüler. Hätte nie geglaubt, dass man sich so nach der Schule sehnen kann.«
»Wie ist das mit Danni? Ist sie deine Freundin?« Isabella sieht ihn aufmerksam an.
»Du bist ganz schön neugierig.« John lacht und schweigt einen Moment. »Danni ist okay, aber Freundschaft ist etwas anderes. Richtige Freundschaft gibt es auf der Straße,
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