Wir sehen uns in Paris
Bahnhof zu hocken, sind sie draußen im Mondlicht unter einem hellen Laubengang spazieren gegangen. Isabella ist dicht neben John gelaufen und hatte so ein Gefühl, als könnte ihr nichts und niemand etwas anhaben. Irgendwann sind sie dann in die nächste Regionalbahn gestiegen. Seit Kassel konnte sie sogar schlafen.
Isabella fällt John auf dem Bahnsteig um den Hals. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde. Dann springen beide auseinander und John lächelt.
»Warum tust du das?«, fragt sie. »Ich meine, du hättest doch auch einfach verschwinden können.«
Er winkt ab. »Quatsch! Ich konnte dich doch nicht einfach allein lassen.« Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu. »Ich mag dich.« Er sagt es einfach so, als wenn es nichts wäre.
Isabella wird rot. Sie hat mit allem gerechnet, aber nicht mit einer solchen Direktheit. Und sie sieht an seinen Augen, dass es ihm ernst ist. Plötzlich fühlt sie jede Menge gleichzeitig. Da ist so etwas wie Glück. Vor allem aber ist sie neugierig. Neugierig darauf, wie es weitergeht.
»Hunger«, sagt John und deutet mit einer kleinen Grimasse auf seinen Magen.
»Ja, ich auch«, meint Isabella, »und wie! Können wir uns denn noch was leisten?«
»Altes chinesisches Sprichwort: Dem Milliardär ist nichts zu schwer«, sagt John lachend.
»Sehr weise!« Isabella lacht mit ihm. »Aber im Ernst: Reicht das Geld?«
»Wir holen zuerst die Fahrkarte nach Saarbrücken. Und den Rest hauen wir auf den Kopf«, antwortet er.
Isabella gefällt, wie John wir sagt.
»Wir können nicht alles ausgeben. Ich muss mich auch noch zu Hause melden. Die machen sich ganz sicher riesige Sorgen und ehrlich gesagt möchte ich nicht, dass Hannah Schwierigkeiten bekommt.«
»Okay«, sagt John, ohne zu zögern. »Gleich hier um die Ecke ist bestimmt ein Internetcafé. Ein oder zwei Mails sollten nicht das Problem sein.«
Gleich ist es 9:00 Uhr und noch immer hat Clara nicht angerufen. Astrid blickt dauernd zur Zimmerdecke, als würde ihre ganze Hoffnung dort oben wohnen. Opa Morgenstern sitzt am Tisch und rührt seit einer Viertelstunde in seiner Tasse. Der Kaffee ist längst kalt. Isabellas Oma ist in der Küche und klappert mit Töpfen herum. Sie hat es in Astrids Wohnzimmer nicht mehr ausgehalten.
Hannah sitzt auch im Morgenstern-Wohnzimmer und denkt nach. Ihr Herz klopft und pocht und drückt. Sie starrt auf das Telefon. Es ist so ein altmodisches Gerät mit Hörer und einer Wählscheibe. Daneben liegen alle Handys auf dem Tisch. Sie wollen nichts verpassen.
Das Warten ist so lang! Schließlich steht Hannah auf und geht in Isabellas Zimmer. Dort setzt sie sich auf ihr leeres Bett. Alles ist wie immer, als wäre gar nichts passiert. Hannah steckt ihre Nase in Isabellas Kopfkissen. Ein zarter Duft nach frischen Blumen. Das ist der Duft von ihrer besten Freundin. Hannah mag ihn sehr.
»Isabella, was ist dir passiert? Warum meldest du dich nicht?«, flüstert sie und kämpft mit den Tränen. Auf einmal fühlt sie sich unglaublich einsam. Dabei ist alles so vertraut. Und doch so anders, weil Isabella nicht da ist.
Auf einmal raschelt und quiekt es neben Isabellas Schränkchen. Rudi und Ralf! Isabellas Meerschweinchen. An die hat sicher niemand gedacht. Hannah holt frisches Wasser aus dem Bad und schüttet Futter in die Schale. Dann schnappt sie sich Rudi, nimmt ihn auf den Arm und streichelt ihm das flauschige Fell. Doch Rudi fiept und zappelt nur unruhig, will zurück in den Käfig. »Ja, ja, ist ja gut. Ihr wollt auch nicht getrennt sein. Wer will das schon …«
Hannah hat ihr Notizbuch nicht dabei, aber auf Isabellas Schreibtisch findet sie Papier und Stifte. Sie hat das Gefühl, dass sie alles aufschreiben muss. Nicht als Drehbuchstoff. Das hier ist ja keine Story, keine erfundene Filmgeschichte. Das hier ist echt. Das ist ernst. Sie spürt, wie ihr wieder die Tränen kommen.
»Isabella, wo bist du?« Hannah sagt es laut und geht zurück Richtung Wohnzimmer. Wenn man wartet, werden Sekunden zu Stunden, Minuten zu ganzen Vormittagen. Wie gelähmt steht die Zeit, bewegt sich nicht. Hannah betrachtet die Bilder im Flur und nimmt doch nichts wahr.
»Isabella, bitte melde dich. Sag uns alles, egal was«, flüstert sie kaum hörbar.
Da klingelt das Telefon. Wie der Blitz stürzt Hannah ins Wohnzimmer und sieht, wie Astrid den Hörer nimmt.
»Clara! Clara bist du das?«, ruft Astrid. »Endlich.« Dann hört sie nur zu, nickt langsam und schwer mit dem Kopf. Das Gesicht wird immer
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