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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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sie vielleicht als Stammgast gewonnen, aber einige werden immer versuchen, mich auch privat zu treffen. Und wenn ich das dann ablehne, sind sie beleidigt und kommen gar nicht mehr. Wenn ich aber erzähle, dass ich verheiratet bin, dann sagen alle: Was ist das für ein furchtbarer Mann, der dich anschaffen gehen lässt? Ich werde so oder so verurteilt, also rede ich nicht darüber.
    Es gibt auch immer mal Kunden, die sich in mich verlieben. Einer kam jeden Tag zu mir und wollte irgendwann gar keinen Sex mehr, sondern nur reden und kuscheln und knutschen. Aber ich küsse keine Kunden, das mache ich wirklich nur mit meinem Mann. Und die Emotionen machen das Arbeiten schwierig, ich kann mich auf so was nicht einlassen, das beschäftigt mich zu sehr. Also habe ich einfach die Tür zugelassen, wenn er kam, und irgendwann hat er dann aufgegeben.
    Wenn ich offizielle Formulare ausfülle, schreibe ich als Beruf »selbstständige Masseurin«, so bin ich auch beim Finanzamt gemeldet. Natürlich wissen die auf den Ämtern,
was das heißt, und manche gucken dann vielsagend, aber die können mir gar nichts, ich zahle meine Steuern wie jeder andere Mensch auch. Ich lebe nicht vom Staat und sorge für mein Kind, darauf bin ich sehr stolz.
    Manchmal wünsche ich mir ein bisschen mehr Respekt für Frauen wie mich. Viele von uns finanzieren mit diesem Job ganze Großfamilien in ihrer Heimat, viele sind alleinerziehende Mütter, die für ihre Kinder sorgen, weil die Väter sich weigern zu bezahlen. Wir sind Dienstleisterinnen, so wie Friseurinnen und Krankenschwestern. Diese Doppelmoral regt mich auf. Unter meinen Kunden sind Richter, Polizisten, Ärzte, alles Berufe mit hochmoralischem Anspruch. Aber im Bett hat die Moral nichts zu suchen, da sind wir alle unmoralisch.
    Der Vorwurf, der mich am meisten kränkt, ist, dass ich eine schlechte Mutter sei, weil ich Krankheiten mit nach Hause schleppen könnte. So was würde man doch einer Krankenschwester nie vorwerfen, oder? Klar, ich riskiere jeden Tag mein Leben, Kondome können platzen, und ich könnte mich mit HIV anstecken. Aber als Krankenschwester bin ich auch jeden Tag mit Erregern in Kontakt gewesen, da gab es immer die Gefahr, sich zum Beispiel mit Hepatitis zu infizieren. Und auch in anderen Berufen kann man Opfer von Gewalt werden. Wenn man beim Jugendamt oder beim Arbeitsamt arbeitet und da tickt plötzlich einer aus, dann ist man da doch genauso hilflos wie hier im Bordell.
    Natürlich gibt es in meiner Branche Probleme mit Drogen, Gewalt und anderen Abhängigkeiten. In der Prostitution
geschehen viele schreckliche Dinge. Aber die gibt es auch gleich nebenan, in vielen bürgerlichen Familien. Ich kannte mal einen Arzt, der war ein hoch angesehener, respektierter Mann. Und seine Frau hat er zu Hause behandelt wie Dreck, wie eine Sklavin, er hat sie geprügelt und gedemütigt, sie war finanziell völlig abhängig von ihm. Wer hätte ihr denn geglaubt, wenn sie sich gegen ihren Mann gewandt hätte? Wo hätte sie denn hingehen sollen? So einen Typen nennt niemand einen Zuhälter, obwohl er kein Stück besser ist.
    Ich möchte diesen Job noch lange machen, so lange, wie ich Geld damit verdienen kann. Wenn ich irgendwann keine Lust mehr habe oder nicht mehr attraktiv genug bin, dann kann ich immer noch in meinen alten Beruf als Krankenschwester zurück. Das wird so schlecht bezahlt, die suchen immer Leute. Aber ich denke nicht viel über die Zukunft nach, ich lebe jetzt. Ganz nach Martin Luther: »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Baum pflanzen.«
    Ich genieße es, Geld zu haben, ich reise gern und gehe gern essen, ich unterstütze meine Familie in Polen, und meinem Kind soll es an nichts fehlen. Das ist für mich das Wichtigste. Und ich wüsste keinen anderen Job, mit dem ich all das erreichen könnte.
    Â 
    Glaubt man den Schätzungen der Prostituierten-Organisation Hydra, nehmen in Deutschland drei von vier Männern Dienste von Prostituierten in Anspruch +++ Der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zufolge kommen täglich
mehr als eine Million Sexkontakte zwischen männlichen Prostitutionskunden und Sexarbeiterinnen zustande. +++ Zur Anzahl der Prostituierten in Deutschland gibt es keine zuverlässigen Angaben. Hydra geht von bis zu 400 000 Prostituierten aus. Andere Schätzungen oder Hochrechnungen gehen von niedrigeren

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