Wir sind bedient
komplett neues Ticket lösen. Das Geld ist dann futsch. Dauer-Spezial-Tickets haben eine Zugbindung und einfach Nachzahlen geht auch nicht. Da werden die Leute von der Bahn unfreiwillig zu Schwarzfahrern gemacht.
Ich wäre gern kulanter und würde mal ein Auge zudrücken, aber ich darf nicht. Ich riskiere meinen Arbeitsplatz, wenn ich es tue. In jedem Zug sitzen Testkunden, die von der Bahn beauftragt sind, uns Mitarbeiter auf Fehler hin zu überprüfen. Die sollen aufpassen, ob wir alle Ansagen pünktlich machen, ob alle Knöpfe an der Uniform ordentlich angenäht sind, ob die Gäste in der Ersten Klasse auch alle ihren Kaffee bekommen. Und natürlich, ob ich ordentlich kontrolliere. Wenn die mitbekommen, dass
ich jemanden mit einer falschen Fahrkarte einfach weiterfahren lasse, bekomme ich eine Abmahnung. Auch meine Zange ist personalisiert, wenn ich eine eigentlich nicht gültige Fahrkarte abknipse, und der Kollege, der die Karten nach mir kontrolliert, merkt das, müsste er das auch melden.
Natürlich laden Fahrgäste ihren Ãrger erst mal bei uns Zugbegleitern ab. Und ich nehme das nicht weiter persönlich, es sei denn, es geht arg unter die Gürtellinie. Eigentlich wird man in jeder Schicht mindestens einmal wüst beschimpft. Ich sage mir immer, der meint ja nicht mich, der meint meinen Arbeitgeber. Trotzdem, manchmal geht mir das an die Substanz.
Die Angst fährt immer mit. Dass vielleicht jemand mal handgreiflich wird. Ist mir zwar noch nicht passiert, aber es kommt vor. Ich achte immer drauf, die Abteiltüren offen zu lassen, einen Fluchtweg zu haben. Man weià nie, wie die Leute explodieren können. Manchmal, wenn ich nach der Schicht nach Hause komme, denke ich schon noch über ein paar Situationen nach und frage mich, ob es vielleicht auch an mir gelegen hat. Ob ich mich anders hätte verhalten müssen, damit es nicht zum Streit gekommen wäre. Ich hinterfrage mich da auch selbst. Aber ich rege mich auf, wenn pauschal behauptet wird, wir Bahnmitarbeiter seien immer und grundsätzlich unfreundlich. Das stimmt einfach nicht.
Die meisten Fahrgäste sind sehr nett und höflich. Und wenn einer nicht einfach nur wortlos sein Ticket hinhält oder es mir sogar einfach nur hinschmeiÃt, sondern mir
auch noch eine angenehme Fahrt wünscht, dann freue ich mich, dann ist die Arbeit schön. Ich finde es auch immer toll, wenn Leute ein bisschen Spaà haben auf der Reise. Frauengruppen, die dann an einem Vierertisch eine kleine Tischdecke ausbreiten und einen Piccolo zusammen trinken, das ist doch nett.
Es gibt sogar lustige FuÃballfans. Aber je nachdem, wie das Spiel ausgegangen ist, machen die auch sehr viel Ãrger. Spritzen überall mit Bier rum, versauen die Toiletten, grölen und werden aggressiv. Ich habe auch schon mit der Bundespolizei einen Zug räumen lassen, weil die Fans völlig auÃer Kontrolle waren. Da haben wir auÃerplanmäÃig gehalten, die Bundespolizei hat mit dem Megafon die FuÃballer aus dem Zug beordert, und dann war Ruhe. Es geht ja auch um die Sicherheit der anderen Reisenden.
Ich glaube, die wenigsten Fahrgäste können sich vorstellen, unter welchem Druck wir arbeiten. Wenn ich auf einem Zug als Zugchefin mitfahre, habe ich kaum eine Minute zum Durchatmen. Vor der Abfahrt teile ich das Team ein, dann steigen wir am Startbahnhof mit den Fahrgästen zu. Als Erstes muss ich in mein Dienstabteil und die Zugfreigabe tätigen. Das heiÃt, den Lokführer anfunken, um zu testen, ob die Kommunikation funktioniert. Dann in den Schaltkasten gucken, ob irgendwo ein rotes Lämpchen blinkt und anzeigt, dass etwas kaputt ist. AnschlieÃend muss ich wieder raus auf den Bahnsteig, zusehen, dass der Zug pünktlich loskann, und die Türen schlieÃen. Dann schnell ins Bistro und nachfragen, ob alles da ist, ob der Kühlschrank korrekt beladen ist und
die Kaffeemaschine funktioniert. Wenn nicht, dann muss schnell improvisiert werden.
Die ersten Fahrgäste rufen ja auch schon nach Kaffee, bevor sie ihren Mantel ausgezogen haben. Aber wir sind ja selber gerade erst an Bord gekommen, das dauert dann einfach noch ein paar Minuten, auch wenn da viele kein Verständnis für haben. Dann schnell in die Erste Klasse, die Gratiszeitungen in die Zeitungsständer packen, dann zurück ins Dienstabteil und meine Ansagen machen. Auf Deutsch und auf Englisch. Ich hatte nie Englisch in der Schule,
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