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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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verständnisvoll, wenn so ein Unfall passiert. Es ist ganz interessant, wie die Leute, die vorher nichts miteinander zu tun hatten und nie einfach so miteinander ins Gespräch kämen, plötzlich anfangen, sich zu unterhalten. Da werden Kekse rumgereicht und Handys ausgeliehen, eine richtige Notgemeinschaft. Es gibt auch immer welche, die andere Fahrgäste mit aufstacheln, und dann fallen so Sätze wie: »Der ist doch schon tot, warum können wir dann nicht einfach weiterfahren?«
    Vor Kurzem hatte ich einen Notfall an Bord, ein älterer Mann ist zusammengebrochen, Herzinfarkt. Wir waren zum Glück in der Nähe eines Bahnhofs, da hat dann schon ein Rettungsteam auf uns gewartet. Der Notarzt musste aber die Erstversorgung bei uns an Bord machen, es hat ein paar Minuten gedauert, bis der Mann transportfähig war. Und da kommt doch wirklich ein Fahrgast zu mir und fragt, ob man den nicht einfach auf den Bahnsteig legen könnte, damit wir schneller weiterkämen. Da bin ich fast geplatzt und hab ihn gefragt, wie er das finden würde, wenn man das mit ihm machen würde?
    Alle haben es eilig, alle haben ein wichtiges Meeting, alle müssen ganz schnell irgendwohin. Aber wenn es einen Unfall auf der Autobahn gibt, steht man doch auch im Stau und keiner motzt. Wir Zugbegleiter haben ja
auch ein Interesse daran, pünktlich zu sein. Erspart uns eine Menge Ärger mit den Fahrgästen, die ihre Anschlüsse verpassen.
    In solchen Stresssituationen ist es toll, wenn man ein gut eingespieltes Team an Bord hat, das sich blind versteht und unterstützt. Früher gab es noch so etwas wie die große Eisenbahnerfamilie. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber seit die Bahn auf Börsenkurs getrimmt wird, kann man von Familie nicht mehr sprechen. Die Manager sorgen dafür, dass nie dieselben Teams zusammenfahren, dass sich alle immer gegenseitig kontrollieren.
    Ich bin seit fast dreißig Jahren bei der Bahn, ich habe damals in der DDR noch richtig von der Pike auf gelernt und in alle Bereiche einmal reingeschaut. Das machen die Azubis doch heute alle nicht mehr. Unter den Managern gibt es kaum noch echte Eisenbahner. Wir haben zum Beispiel in manchen Bereichen Gastromanager, die kommen aus der Hotelbranche. Für die geht Service über alles, und plötzlich sollen die Servicemitarbeiter auch mal zwölf Stunden durcharbeiten ohne Pause. So was geht doch nicht!
    Die Schichten sind so schon hart genug. Die längsten dauern von Dienstantritt bis Dienstende dreiundvierzig Stunden, mit neun Stunden Nachtruhe. Die Bahn zahlt uns dann ein Hotelzimmer, natürlich nur das billigste. Und Frühstück ist natürlich nicht inklusive. Ich bin auch öfters neun Stunden am Stück auf dem Zug. Da habe ich das Recht auf eine halbe Stunde Arbeitsschutzpause, aber
wo soll ich die nehmen? In meinem kleinen Dienstabteil? Zwischendurch ist man nur am Rennen, damit man alles schafft.
    Es wird nur noch gespart, Personal abgebaut und immer mehr aus den Leuten rausgepresst. Ich verstehe ja, dass es Einsparungen geben muss. Aber muss man die Leute gleich krank machen? Es gibt Schichten, von München über Frankfurt bis Hamburg, da fahren wir so unterbesetzt, da muss man richtig durchknüppeln. Danach bin ich so fertig, dass ich mich am Bahnsteig erst mal hinsetzen muss, bevor ich mich auf den Weg ins Hotel machen kann.
    Gespart wird auch an der Sicherheit, ich will lieber gar nicht so genau drüber nachdenken. Die Standzeiten in den Werkstätten sind viel zu kurz, da bleibt vieles liegen und wird nicht abgearbeitet, weil der Zug möglichst schnell wieder auf die Strecke soll. Kostet den Konzern schließlich Geld, wenn so ein Zug in der Werkstatt steht. Da werden die Fristen extrem ausgereizt, und da kommt auch schon mal von oben die Ansage: »Der Zug ist fahrtüchtig.« Und ich denke: Nein, ist er nicht. Als Zugchefin kann ich einen Zug auch einfach stehen lassen, wenn ich das Gefühl habe, der ist nicht sicher. Wenn er zum Beispiel so überfüllt ist, dass die Federn schon fast auf den Achsen liegen, dann warte ich so lange, bis genügend Fahrgäste wieder ausgestiegen sind.
    Ich achte auch sehr auf Geräusche, ob irgendwo etwas ungewöhnlich klappert oder quietscht. Da müssen sich die Fahrgäste keine Sorgen machen, alle Bahnmitarbeiter
haben die Bilder der Eschede-Katastrophe im Kopf. Und ich kenne keinen Kollegen, der im Zweifel nicht lieber einen Zug

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