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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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speziell. Die sehen natürlich nur sich und den Kranken. Und machen uns das Leben und das Arbeiten manchmal ziemlich schwer. Zum Beispiel hören wir oft den Satz: »Wieso Besuchszeiten? Ich will jetzt aber zu meiner kranken Mutter!« Oder sie drücken gleich dreimal hintereinander auf die Klingel. Ich steh ja nicht als Pförtner an der Tür, sondern versorge Patienten, da kann ich nicht immer sofort wieder aus dem Zimmer stürzen und Türen öffnen. Wenn ich bei jemandem an der Haustür klingele, klingele ich ja auch nur einmal und warte dann kurz ab.
    Viele Angehörige hauen natürlich auch erst mal auf den Putz, schon aus Prinzip. Wieso hat mein Vater oder meine
Mutter dies und jenes nicht, warum dauert das so lange, wo bleibt der Arzt?, und so weiter. Vieles darf ich mit den Angehörigen gar nicht besprechen, da verweise ich dann an die Ärzte. Aber die haben natürlich auch nicht die Zeit, mit jedem noch mal neu den Zustand des Patienten zu bequatschen, wenn sie das schon der Ehefrau, den Geschwistern und dreien der fünf Kinder erzählt haben.
    Was für Angehörige oft ein großer Schock ist, ist, wenn Patienten im sogenannten Durchgangssyndrom stecken. Das ist ein Zustand, der häufig nach Vollnarkosen eintritt. Eine Art Delirium, ausgelöst durch die Elektrolytverschiebung oder den großen Flüssigkeitsverlust, wenn die Patienten viel abführen müssen. Bei manchen liegt es auch am Alkoholmissbrauch.
    Der Zustand kann bis zu zwei Wochen dauern: Die Leute erkennen ihre Angehörigen nicht, haben Halluzinationen. Manchmal sind die auch ganz harmlos, dann sehen sie weiße Mäuse an der Wand entlangspazieren, und dann spielt man halt ein bisschen mit und sagt: »Ja, Frau Meier, wirklich süß, die Tierchen!« Aber andere flippen völlig aus. Die sehen Blut von der Decke tropfen. Oder sie bekommen Todesangst, denken, wir wollen sie vergiften, und reißen sich sämtliche Zugänge und Schläuche aus dem Körper. Mich hat mal einer im Eifer des Gefechts so getreten, dass ich eine gebrochene Rippe hatte. Und als ich einmal zu einem randalierenden Patienten rein bin, um ihn zu beruhigen, schmeißt er den Fernseher nach mir.

    Für Angehörige ist es natürlich furchtbar, die Patienten so zu erleben. Viele sind völlig aufgelöst und können gar nicht glauben, was sie da sehen und hören. Da muss man die Leute beruhigen, der Zustand geht vorbei, und die Patienten können sich später auch nicht mehr daran erinnern. Manchen ist es im Nachhinein wahnsinnig peinlich, und sie entschuldigen sich tausendmal. Oft werden in diesem Zustand nämlich auch Dinge aus den tiefsten Ecken des Unterbewusstseins nach oben gespült. Da schwingt dann der liebe Opi plötzlich die schlimmsten Naziparolen. Ich habe das mal an meiner eigenen Oma erlebt. Die war eine sehr gottesfürchtige Frau und hat im Krankenhaus dem Pflegepersonal die derbsten Kraftausdrücke an den Kopf geknallt.
    Es kommt natürlich auch immer mal vor, dass männliche Patienten anfangen zu tatschen. Gerade beim Umlagern, wenn sie mir ihre Hand auf die Schulter legen sollen, muss ich ab und zu daran erinnern, dass die Schulter ein bisschen weiter oben ist. Je nachdem, wie sympathisch mir der Patient ansonsten ist, versuche ich auch, das mit Humor zu nehmen. Man darf ja nicht vergessen, dass ich auch in deren Intimsphäre eindringe. Als Krankenschwester sehe ich meine Patienten auch nackt, ich wasche sie, ich lege Katheter, ich leere ihre Bettpfannen, mir bleibt wirklich wenig verborgen.
    Und natürlich bin ich nicht frei von Ekelgefühlen. Infizierte Wunden zum Beispiel widern mich wahnsinnig an. Diesen Verwesungsgeruch kann ich nur schwer ertragen. Da denke ich schon: O Gott, jetzt muss ich wieder in das
Zimmer rein! Aber das ist auch tagesformabhängig. An manchen Tagen könnte ich direkt hinterherkübeln, wenn sich ein Patient vor meinen Augen erbricht, an anderen Tagen macht es mir gar nichts aus.
    Es gibt auch Tage, da lasse ich alle Emotionen mit meiner Schwesternkluft auf der Station. Und an anderen schleppe ich sie mit nach Hause. Da denke ich abends, wenn ich im Bett liege, an bestimmte Patienten und frage mich, ob die es wohl schaffen über Nacht, ob ich die morgen wohl noch mal wiedersehe.
    Früher hätte ich nie gedacht, dass ich mal in diesem Beruf landen würde. Nach der Schule hatte ich keine richtige Vorstellung, was ich

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