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Wir sind bedient

Titel: Wir sind bedient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alena Schroeder
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meiner Schicht acht Stunden lang pausenlos am Rennen. Zwischendurch klingelt immer wieder unser REA-Telefon, mit einem sehr schrillen, lauten Ton. Das bedeutet, dass irgendwo im Haus reanimiert werden muss oder der Rettungsdienst jemanden mit dem Krankenwagen bringt. Dann wirft man sich den REA-Rucksack auf den Rücken, in dem sind alle nötigen Geräte und
Medikamente verstaut, schnappt sich den nächsten Arzt und rennt los in Richtung Schockraum.
    Beim Reanimieren pumpt einem so viel Adrenalin durch den Körper, dass man alles um sich herum vergisst. Und es ist eine unbeschreibliche Erleichterung, wenn es klappt. Aber oft genug klappt es eben auch nicht, und ein Patient stirbt. Wenn das alte Leute sind, die ihr Leben gehabt haben, dann geht es mir inzwischen nicht mehr so nah. Wenn Kinder oder junge Leute sterben, dann schon eher.
    Ich bin jetzt seit mehr als zwanzig Jahren Krankenschwester, da habe ich mir ein ziemlich dickes Fell zugelegt. Es ist mir nicht gleichgültig, aber ich habe gelernt zu akzeptieren, dass man manchmal eben nichts mehr tun kann. Aber wenn Patienten teilweise über mehrere Monate hier waren, dann hat man ja auch ein Verhältnis zu ihnen aufgebaut. Da ist es natürlich traurig, wenn sie sterben. Bei einigen habe ich auch schon überlegt, auf die Beerdigung zu gehen.
    Der Umgang mit dem Tod, das ist der große Zwiespalt, in dem man als Krankenschwester immer steckt. Ich weiß zum Beispiel, dass unser Krankenhaus in einigen chirurgischen Feldern nicht besonders gut ist. Patienten werden ständig nachoperiert, und es wird und wird nicht besser, so was tut mir unendlich leid. Aber ich darf den Leuten ja auch nicht sagen: »Hören Sie, gehen Sie damit doch vielleicht besser in ein anderes Krankenhaus, die haben da bessere Chirurgen für Ihren speziellen Fall.«
    Genauso ist es, wenn ich weiß, dass die Sache aussichtslos ist. Es ist Aufgabe der Ärzte, das dem Patienten auch
zu sagen, und viele drücken sich davor. Dann liegen die Patienten monatelang bei uns, werden immer wieder operiert. Und trotzdem sind sie noch voller Hoffnung und fragen mich: »Wird es denn besser? Mache ich Fortschritte?« Und ich muss dann da so rumeiern, weil ich den Leuten nicht sagen darf: »Tut mir leid, aber Sie werden nicht mehr gesund, Sie werden sterben.« Dieses Unausgesprochene, das macht mich fertig.
    Im Moment haben wir bei uns eine einhundertdreijährige Frau auf der Station, der hat man einen Tumor wegoperiert. Niemand von uns versteht das, was soll die denn noch in ihrem Alter auf der Intensivstation? Was tut man der armen Frau da an? Das kann alles gar nicht mehr wirklich heilen, warum kann man die nicht in Würde sterben lassen? Offenbar haben die Ärzte die Tochter um ihre Einverständniserklärung gebeten, aber die ist ja auch schon weit über achtzig. Jetzt liegt diese arme Oma hier bei uns, ist völlig verwirrt, weil sie nicht in ihrer gewohnten Umgebung ist und weil so ein alter Körper sehr lang braucht, um die Narkosemittel abzubauen. Immer wenn ich in ihr Zimmer komme, sagt sie: »Junge Frau, seien Sie so gut, laufen Sie doch für mich dem Bus hinterher, ich kann doch nicht mehr so schnell!«
    Es kommt auch vor, dass jemand stirbt, und die Ärzte holen ihn doch noch mal zurück. Da denke ich manchmal: Was soll das jetzt? Lasst den doch gehen, der kann nicht mehr. Was bringt es, den noch unter schweren Bedingungen drei Wochen länger am Leben zu halten?
    Manchmal glaube ich, es wäre vielleicht sogar ganz
schön, auf der Palliativstation zu arbeiten. Wo ganz klar ausgesprochen ist: Es geht zu Ende. Und man dafür sorgen kann, es den Patienten so schmerzfrei und angenehm wie möglich zu gestalten. Vielleicht ist das ganz befreiend zu wissen: Hier muss ich kein Leben mehr retten.
    Wenn jemand stirbt, dann machen wir natürlich auch die Angehörigenbetreuung. Wir schirmen die ein bisschen ab, damit sie in Ruhe Abschied nehmen können. Wichtig ist, den Angehörigen zu vermitteln, dass es manchmal auch das Beste für den Patienten ist. Ich sage dann: »Geben Sie Ihrem Vater das Gefühl, dass er gehen darf, dass er sich nicht mehr quälen muss.« Man nimmt auch mal Leute in den Arm und bietet einen Kaffee an, je nachdem, wie sehr die uns Krankenschwestern auch an sich heranlassen. Und je nachdem, wie schlimm die uns vorher durch die Gegend gescheucht haben.
    Der Umgang mit Angehörigen ist immer sehr

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