Wir sind bedient
Grundschule in einer Stadt in Brandenburg. Unter den Eltern gibt es keine Akademiker, viele sind schon seit Jahren arbeitslos. Wenn Elternabend ist, dann kommen viele Mütter Kaugummi kauend und mit iPod-Stöpseln im Ohr. Die sind selber noch halbe Kinder, Anfang zwanzig, und deren Kinder sind sechs oder sieben.
Ich mag wirklich alle meine Kinder, auch die schwierigen, aber die Eltern meiner Schüler mag ich in den seltensten Fällen. Rauchen Kette, aber schaffen es nicht, einmal im Schuljahr zehn Euro für die Klassenkasse lockerzumachen. Bekommen ihr eigenes Leben nicht auf die Reihe, aber verteilen Ohrfeigen, wenn es bei den Kindern in der Schule nicht so läuft. Parken ihre Sechsjährigen vor der Glotze und wundern sich, dass die sich keine fünf Minuten auf etwas konzentrieren können.
Es gibt natürlich auch Eltern, die sehr nett und bemüht sind, die etwas wollen für ihre Kinder und sich einsetzen. Mit denen kann man sehr gut zusammenarbeiten. Aber andere, da denke ich: So ein tolles Kind hast du gar nicht verdient. Der hat so viel im Kopf, wenn man den einfach in eine andere Familie verpflanzen könnte, dann würden ihm wirklich alle Möglichkeiten offenstehen.
Viele Kinder verstehen überhaupt nicht, dass es sich lohnen könnte, sich anzustrengen. Die kennen das von zu Hause nicht, dass es einen Sinn hat, morgens aufzustehen und etwas zu lernen. Ich bemühe mich, ihnen zu zeigen, dass es sich eben doch lohnt. Dass man mit Geld auch noch etwas anderes machen kann, als Flachbildglotzen zu kaufen. Reisen zum Beispiel, um andere Länder und Kulturen kennenzulernen. Aber es ist mühsam.
Ich arbeite eng mit dem Jugendamt zusammen und mit den Familienhelfern, die einige der Familien betreuen. Es ist sehr entlastend, da noch einen Ansprechpartner zu haben und ein bisschen Verantwortung abzugeben. Ich kann nicht hinter allen her sein, und ich kann nicht alle
retten. Zum Glück habe ich einen sehr engagierten Direktor, der klingelt auch mal bei den Familien zu Hause, wenn die Kinder wochenlang unentschuldigt fehlen.
Vor einem Jahr bin ich aus Köln hierhergezogen. In meiner alten Grundschulklasse hatte ich Kinder mit vierzehn verschiedenen Nationalitäten. Das war auch nicht unproblematisch. Aber ich habe trotzdem das Gefühl, die konnten am Ende der zweiten Klasse deutlich mehr als die Kinder hier. Und hier gibt es überhaupt keine Ausländer.
Wir unterrichten hier die erste und zweite Klasse zusammen, und eigentlich sollten die GroÃen in der Lage sein, den Kleineren auch mal zu helfen. Aber die sind selber noch total überfordert. Eigentlich müssten Zweitklässler alle Buchstaben kennen und zumindest langsam und stockend lesen können. Aber bei einigen Kandidaten bin ich mir sicher: Wenn wird die einfach weiter mit durchschleppen, dann werden das Analphabeten. Die Kinder hier sind ja nicht dümmer als die Kinder in meiner alten Schule. Aber sie haben von Haus aus eben nicht die gleichen Voraussetzungen. Und es macht schon einen Unterschied, ob man vor der Schulzeit schon mal ein Buch in der Hand hatte oder nur die Playstation.
Mein Tag beginnt normalerweise um 7.30 Uhr mit den Förderschülern. Die kommen eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn, damit ich ihnen ein paar Dinge noch einmal in Ruhe erklären kann. Um zehn vor acht kommen die anderen Kinder, um acht Uhr singen wir ein BegrüÃungslied, und dann geht es los.
Den meisten Stress habe ich damit, für Ruhe zu sorgen, während die Kinder ihre Aufgaben machen. Der Lärmpegel ist manchmal enorm hoch, und einige Kinder können sich wirklich keine zwei Minuten auf etwas konzentrieren. Wenn die Kinder zu viel Krach machen, bekommen sie eine Schnatterente in ihr Heft geklebt, natürlich in der Annahme, dass die Eltern das sehen und darauf irgendwie reagieren. Tun sie aber nicht, und auch die Kinder empfinden das nicht als schlimm. Wer mehrere Enten in seinem Heft hat, muss zum Rektor, aber das lässt die Kinder auch weitgehend kalt.
Einige Kinder kennen überhaupt keine Regeln und Strukturen, die sind völlig haltlos und machen es für alle anderen unnötig schwer. Ich denke, alles in allem habe ich sie gut im Griff, aber es kostet unheimlich viel Kraft, immer und immer wieder die simpelsten Regeln des menschlichen Miteinanders in Erinnerung zu rufen. Aber so langsam gewöhnen sie sich an mich und lernen, dass bei mir ein Nein auch Nein bedeutet.
Manchmal
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