Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir sind die Nacht

Wir sind die Nacht

Titel: Wir sind die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hohlbein Wolfgang
Vom Netzwerk:
bisschen heftig.«
    »Der Club?«
    Louise nickte, trat ans Fenster und zog die Vorhänge einen halben Fingerbreit auf, um aus zusammengekniffenen Augen zum Himmel hinaufzusehen. Dünne hellgraue Rauchfäden stiegen von ihren Augenwimpern auf. »Es sieht nach Regen aus«, sagte sie. »Wenn wir Glück haben, können wir schon eher weg.« Sie seufzte leise und kehrte dann zu Lenas Frage zurück. »Deine Freunde von der Polizei werden die Leichen von Stepans Idiotenbrigade finden, und früher oder später werden sie hier auftauchen und eine Menge dummer Fragen stellen. Möchtest du sie beantworten?«
    »Mein Freund von der Polizei«, antwortete Lena bitter, »ist tot.«
    »Nein«, erwiderte Louise. Sie schloss die Gardine wieder und drehte sich zu Lena um. Ihr linkes Auge brodelte kurz und floss dann wieder zu unversehrter ewiger Schönheit zusammen. »Als wir in den Wagen gestiegen sind, war er jedenfalls noch am Leben. Ich spüre so etwas. Und du könntest es auch, wenn du es nur endlich zulassen würdest.«
    Das sagte sie nicht einfach nur so, das war Lena klar, sondern weil sie eine ganz bestimmte Reaktion erwartete, aber sie war viel zu verwirrt, um mehr als einen flüchtigen Gedanken daran zu verschwenden. Tom lebte? War das der Grund, aus dem es ihr bisher nicht gelang, wirklich um ihn zu trauern - weil Louise recht hatte und sie es tief in sich spürte?
    »Warum habt ihr sie nicht verschwinden lassen?«
    »Die Russen?« Louise schnaubte. »Ein halbes Dutzend?«
    »Erzähl mir nicht, dass ihr das nicht gekonnt hättet!«

    »Und wenn!«, erwiderte Louise gereizt. »Dieser Idiot Stepan hat einen Krieg angefangen, und die Polizei ist nicht so blöd, wie er sich das einbildet. Hier dürfte es in den nächsten Tagen ziemlich ungemütlich für ihn werden, und ich möchte nicht dabei sein, wenn sich dein kleiner Polizistenfreund Stepan und seine Organisation vorknöpft. Selbst wenn sie nicht auf uns kommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Sobald es dämmert, verschwinden wir.« Sie zögerte, und Lena glaubte zu spüren, wie schwer ihr die nächsten Worte fielen. »Wenn du willst, nur wir.«
    »Nur wir?«, wiederholte Lena verwirrt. »Wie meinst du das?«
    Louise wich ihrem Blick aus, als sie antwortete. »Nur du und ich, Lena. Du hast es immer noch nicht verstanden, wie?«
    »Was?«, fragte Lena misstrauisch.
    »Dass ich dich liebe, Lena«, antwortete Louise ernst. Sie streckte die Hand aus und ließ den Arm wieder sinken, als Lena sich instinktiv versteifte. Trauer erschien in ihrem Blick, aber ihre Augen und ihre Stimme wurden auch weich. »Und zwar nur du und ich. Ich weiß, du glaubst, dass Geschöpfe wie wir nicht zur Liebe fähig sind, aber das stimmt nicht.« Lächelnd wies sie auf die Tür hinter ihr. »Sieh dir nur Nora und ihren kleinen Pagen an.«
    »Was hast du damit gemeint, nur wir?«, beharrte Lena.
    »Genau das, was ich gesagt habe. Nur du und ich. Ein Wort von dir genügt, und ich würde alles aufgeben. Die Partys, den Luxus, die Jagd, Nora, Charlotte … Wir könnten die nächsten hundert Jahre ungestört auf einem Landsitz verbringen. Oder auch tausend. Nur du und ich!«
    »Und Charlotte?«, fragte Lena. »Und Nora?«
    »Charlotte ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen.« Louise lächelte wieder. »Vielleicht schmuggele ich sie in die Staatsbibliothek, und sie verbringt die nächsten fünfhundert Jahre damit, jedes einzelne Buch auswendig zu lernen.« Über Nora sagte sie nichts.

    »Und was würden wir beide dort tun? Die nächsten hundert Jahre … oder auch tausend?«
    »Du könntest damit anfangen, etwas dankbarer zu sein«, antwortete Louise.
    »Dafür reichen keine tausend Jahre«, sagte Lena.
    Kurz blitzte Wut in Louises Augen auf und erlosch sofort wieder. Lena lief ein eisiger Schauer über den Rücken. Vielleicht sagte Louise ja sogar die Wahrheit - aber Lena hatte sie gesehen, wie sie wirklich war.
    »Ich … will nicht so werden«, murmelte sie.
    »So wie wir?« Louises Lächeln war jetzt das einer Mutter, die ihrem Kind erklärte, warum die Welt manchmal so grausam war. »Aber das bist du doch schon längst.«
    »Nicht so!« Lena schrie fast. »Ihr … ihr habt diese Leute umgebracht! Ihr habt sie wie … wie Tiere abgeschlachtet!«
    »Wir haben uns verteidigt, Lena«, sagte Louise sanft. »Ich dachte, das wäre dir aufgefallen.«
    Aber das hatte sie nicht gemeint. Natürlich hatten die Russen sie angegriffen und waren mit dem erklärten Ziel gekommen, sie zu töten, und sie hatten

Weitere Kostenlose Bücher