Wir sind doch Schwestern
ist schon zu viel.« Katty fühlte sich getroffen, sie wollte auf keinen Fall mit Anna Maria in einen Topf geworfen werden und gab nach.
Doch es kam, wie es kommen musste: Gegen neun Uhr morgens stürmte Anna Maria ins Zimmer, bebend vor Zorn.
»Ihr seid liederliche Personen. Alle beide. Und du«, dabei kam sie Katty bedrohlich nahe und fuchtelte ihr mit dem Zeigefinger vor der Nase herum, »du bist ein böses, gemeinesWeib.« Anna Maria bedachte sie beide mit Ausdrücken wie »geiler Bock« und »läufige Hündin« und drohte, an die Öffentlichkeit zu gehen und Heinrich im Volk unmöglich zu machen. Es hatte sich als probates Mittel erwiesen, Anna Maria einzureden, sie habe etwas missverstanden, und so argumentierte Katty, es sei pure Rücksichtnahme von Heinrich gewesen, die ihn in Kattys Zimmer habe schlafen lassen, und ihr Ehemann sei am Vorabend so stolz auf seine Frau als Gastgeberin gewesen. Aber vergebens. Anna Maria lief weinend aus dem Zimmer, und als sie nach einigen Stunden immer noch nicht wieder aufgetaucht war, wurde Katty nervös und weckte Heinrich, der tatsächlich wieder eingeschlafen war
»Du musst etwas unternehmen. Ich will nicht, dass sie überall im Dorf erzählt, wir zwei pflegten ehewidrigen Umgang miteinander. Stell dir nur vor, was das für deine politische Karriere bedeuten würde«, mahnte sie, doch Heinrich versprach ihr zwar, Anna Maria mehr Aufmerksamkeit zu schenken, allerdings nur, um im Anschluss, und als wäre nichts geschehen, ein gemütliches Frühstück vorzuschlagen. Er fügte an, man werde wohl kaum darauf hoffen können, dass seine Ehefrau ihnen ein Frühstück am Bett serviere, und Katty erschrak über seine Gefühlskälte. Am Nachmittag war Anna Maria immer noch nicht nach Hause zurückgekehrt und Katty begann, sich ernsthaft Sorgen zu machen. Hatte Anna Maria nicht sogar einmal gedroht, sie werde ins Wasser gehen? Hatten sie es so weit getrieben, dass sie sich das Leben nehmen wollte? Sie flehte Heinrich, der in aller Seelenruhe an seinem Schreibtisch saß und die Rheinische Post vom Vortag studierte, an, nun endlich etwas zu unternehmen. »Ich habe Angst, dass sie sich etwas antut!«
In Heinrichs Augen nahm sie ein merkwürdiges Blitzen wahr und fragte sich, ob er so weit ginge, sich Anna Marias Tod zu wünschen. Es wäre die einzige Möglichkeit, alle anderenFormen der Trennung waren ausgeschlossen. Wie kannst du so schlecht von ihm denken, ermahnte sie sich sofort, niemals würde Heinrich so etwas wünschen. Niemals!, wiederholte sie in Gedanken und versuchte, Gertruds Stimme aus ihrem Kopf zu verscheuchen.
Am Abend hatte Heinrich Anna Maria zurückgeholt. Sie war in Bislich bei ihrer Familie gewesen.
Katty spürte die harte Kirchenbank im Rücken und hatte das Bedürfnis, sofort zu beichten. Dass sie ausgerechnet an diesem Ort über Anna Marias Tod nachdachte, war abscheulich. Was Heinrich wohl getan hat, damit Anna Maria zurückkommt, fragte sie sich. Ob er der Familie Bruhr versprochen hatte, er würde Katty vom Hof schicken? Vielleicht nach der Wahl? Womöglich hätte sie schon morgen kein Zuhause mehr. Verstohlen blickte sie zu Heinrich. Er blickte zurück und lächelte sie an.
»Wir werden gewinnen«, sagte er, »mach dir keine Gedanken.« Er hatte ihren sorgenvollen Blick anscheinend missdeutet, aber Katty entdeckte in seinem Verhalten keine Unaufrichtigkeit und beruhigte sich. Vor drei Wochen, nachdem Heinrich sie zurückgeholt hatte, hatte Anna Maria versprochen, sie würde keine Dummheiten mehr machen. Vielleicht würde doch noch alles gut, hoffte Katty, und Anna Maria hatte nur Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung. Vielleicht hatte sie Heimweh oder sie fühlte sich unter Druck, weil sie noch nicht schwanger war. Einmal hatte Katty die beiden am Nachmittag überrascht. Sie hatte gedacht, Heinrich säße allein am Schreibtisch und war nach kurzem Anklopfen und, ohne eine Antwort abzuwarten, ins Zimmer gestürmt. Und da hatte sie es gesehen. Natürlich hatte sie gewusst, dass die beiden miteinander verkehrten. Wie angewurzelt hatte sie in der Tür gestanden und nicht gewusst, was sie tun sollte. Bis sie bemerkt hatte, dass Anna Maria sie voller Entsetzen anstarrte, aber ebenfalls keinen Ton herausbrachte. Erst da hatte Kattysich von dem Anblick lösen können, war auf ihr Zimmer gegangen und hatte sich die Fingernägel in die Handballen gedrückt, bis es blutete.
Katty schüttelte sich. Sie wollte nicht daran denken. Heute ist ein guter Tag,
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