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Wir sind doch Schwestern

Wir sind doch Schwestern

Titel: Wir sind doch Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gesthuysen
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ermunterte sie sich, wir werden die Wahlen gewinnen.
    »Sehen wir euch gleich bei der Wahl?« Die Kirche war beendet, und Katty und Heinrich animierten bis zuletzt alle, denen sie begegneten, und kaum jemand sagte Nein. So zog das ganze Dorf in einem Tross von der Kirche in die kleine Gastwirtschaft, die man zum Wahllokal umfunktioniert hatte. Noch vor Mittag hatte Wardt gewählt und nach den aufmunternden Zurufen zu urteilen, die Heinrich in der Kneipe geerntet hatte, würde er sicher weit über neunzig Prozent der Stimmen bekommen, dachte Katty zufrieden. Sie freute sich auf den Abend. Die Wahlergebnisse würden im Radio übertragen werden, und sie würde für ein vortreffliches Abendbrot sorgen, mit feinstem Schinken, gutem Weißbrot, Schmalz und Butter. Dazu würde sie ein paar Spiegeleier machen, und vielleicht könnte sie eine der anderen Haustöchter überreden, ein paar Kartoffeln zu braten. Es wurden natürlich Gäste erwartet, darunter auch ein Teil ihrer Familie. Heinrich hatte vorgeschlagen, Gertrud und Paula einzuladen. Im Grunde konnte man das als einen weiteren Affront verstehen, denn Anna Marias Familie, die ja unseligerweise die falsche Partei wählte, war an diesem Abend nicht willkommen. Was Anna Maria wohl wählt, fragte sich Katty, und es kam ihr in den Sinn, dass die Ehefrau vielleicht die Einzige am Tisch sein könnte, die Heinrich nicht gewählt hatte.
    An diesem Abend war Katty in ihrem Element. Leidenschaftlich diskutierte sie beim Abendessen mit Gertrud, die es wagte,vermutlich nur um ihre Schwester zu ärgern, an Konrad Adenauer herumzumäkeln. Er sei als Kölner Oberbürgermeister mal wegen Unfähigkeit abgesetzt worden, stichelte sie. Dass er sich nun trotzdem an die Briten heranschmeiße, das verstehe sie persönlich nicht. Ob das nicht ein wenig stillos sei, fragte sie provozierend in die Runde. Und als Katty daraufhin Heinrich, der mit der angemessenen Ironie antworten wollte, über den Mund fuhr und die eigene Schwester angiftete, sie habe ja keine Ahnung, sie habe diesen charismatischen, klugen Menschen schließlich niemals persönlich erlebt, mussten alle Anwesenden lachen.
    »Herr Adenauer braucht keinen Wachhund mehr«, juchzte Paula, »er kriegt Katty.« Kurz darauf verließ die Gesellschaft das Esszimmer, und man setzte sich im Wohnzimmer vor das Radio. Heinrich drehte vorsichtig an den Knöpfen und suchte den entsprechenden Kanal, als handelte es sich um einen heiligen Akt.
    »Du spielst so liebevoll an dem Radio rum, als wäre es deine Ehefrau«, Theo Düke hatte diesen etwas unfeinen Scherz gemacht und grinste nun breit in die Runde.
    Heinrich ging auf den Scherz ein und erwiderte: »Ich verkneife mir jetzt jeden Vergleich mit den Tönen, die da herauskommen.« Die Gesellschaft lachte schallend, bis Anna Maria aufstand.
    »So, die Herrschaften. Ich werde nun zu Bett gehen.«
    »Aber Anna Maria, du kannst doch jetzt nicht schlafen gehen. Wir haben die Wahlergebnisse noch gar nicht gehört.« Katty war fassungslos. Wie konnte sie gehen, wenn es um die Zukunft ihres Ehemanns ging?
    »Liebes, du bist hoffentlich nicht böse, weil wir Männer dumme Scherze machen?«, fragte Heinrich und schaute seine Frau schuldbewusst an.
    »Nein, ihr langweilt mich nur mit eurer Politik. Wenn ich die Wahlergebnisse morgen erfahre, ist das immer noch früh genug. Gute Nacht allerseits.« Damit verließ sie den Raum.

    Es vermisst sie niemand, dachte Katty und fühlte sich ertappt, als sie den bohrenden Blick ihrer Schwester Gertrud bemerkte. In diesem Moment hatte Heinrich den Kanal gefunden und Katty vergaß alle Alarmsignale. Es dauerte noch eine Weile, bis der Radiosprecher ein vorläufiges Endergebnis verkünden konnte. In Nordrhein-Westfalen hatte die CDU haushoch gewonnen, Heinrich war im Wahlkreis Moers mit sagenhaften neunundsiebzig Prozent gewählt worden. Katty fiel ihm um den Hals, so sehr freute sie sich, und es war ihr egal, was die anderen dazu sagten. Das war ihr gemeinsamer Verdienst, sie war beseelt. Es gab an diesem Abend auch noch Grund, hitzig zu diskutieren, denn in Niedersachsen und Schleswig-Holstein hatte sich die SPD durchgesetzt, und überall waren die Kommunisten und ihre KPD erschreckend stark in den Landtagen vertreten. Für einen Moment hatte Katty alles um sich herum vergessen. Und nicht einmal Gertrud schien Heinrich an diesem Abend übel zu wollen, sie verstand sich sogar verblüffend gut mit ihm. Nachdem sie in den letzten Kriegstagen auf dem Tellemannshof

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